Tag 6 Nacht und Tag 7
Gestern Nacht waren wir in einem Club in Cervia, endlich mal wieder ausgehen und tanzen, das habe ich fast ein halbes Jahr lang nicht gemacht. Dafür habe ich auch echt fiese Blasen an den Füßen bekommen, aber das wars mir wert. Da wir Einheimischen die überteuerten Touristenclubs meiden, sind wir es gewohnt, teilweise die halbe Nacht zu fahren um in die größeren Städte zu kommen, sei es nach Bologna, Modena, oder, ganz verrückt, die gut 200 Kilometer bis nach Rom. Cervia ist nur ca. 20 Minuten entfernt, und da noch keine Saison ist, sind auch die Badeorte noch okay.
Ich habe keinen Vergleich zu deutschen Clubs, da ich in München nur ab und an in einem Restaurant war, aber ich habe in Deutschland öfter betrunkene Jugendliche gesehen. Alkohol ist bei uns eigentlich kein großes Thema, wir dürfen schon in jungen Jahren Wein probieren und lernen ganz gut, mit Alkohol umzugehen. In Italien ist es unüblich, angetrunken zu sein, in den meisten Restaurants bekommt man auch immer nur ein Glas auf den Tisch, so ist man gezwungen, das obligatorische Wasser abwechselnd zum Wein zu trinken. Ich weiß, ich kenne die Geschichten von den betrunkenen Italienern auf dem Oktoberfest, aber wir können in erster Linie mit Wein umgehen, Bier ist nicht so verbreitet bei uns. Und die gleichen Leute würden sich hier Zuhause nie so gehen lassen. Nun, auf der Tanzfläche ist mir Stefano wieder begegnet, und er war nicht angetrunken, sonder sehr betrunken. Und weil ich auch ein kleines Miststück sein kann, habe ich darauf geachtet, dass er sieht, dass ich mit vielen Männern getanzt habe und immer wenn er mich beobachtet hat, habe ich mich bemüht, mit meinem jeweiligen Tanzpartner besonders viel Spass zu haben. Ein Scheissspiel, ich weiß, aber irgendwie hat er mich so verletzt, dass ich nicht anders konnte.
Heute morgen war ich nach einer sehr kurzen Nacht um sechs Uhr bereits wieder am Strand, bin am Ufer entlang gelaufen, habe die Luft genossen und als mir klar wurde, dass ich mein geliebtes Meer übermorgen wieder verlassen muss, auch wieder ein paar Tränen vergossen.
Bevor ich in unser Büro gegangen bin, war ich wie jeden morgen Frühstücken. Italiener Frühstücken nicht wirklich. Ich war in München zweimal zum „Brunch“ eingeladen. Brunch, das kannte ich nicht, klingt komisch, dachte ich mir, war auch komisch, musste ich dann feststellen. Man ißt am Vormittag allerlei Sachen, so dass man zum Mittagessen nicht mehr essen kann, weil einem kotzübel ist, von all dem Zeug am frühen Vormittag.
Nein, ich trinke wie jeder Italiener morgens 3 – 4 espressi, dann geht man in eine Bar, bestellt einen weiteren espresso und ißt dazu ein frisches Hörnchen, die gibt es pur, mit Pudding oder Marmelade gefüllt. Wenn man möchte, kann man dieses „Frühstück“ auch ein zweites Mal am Vormittag wiederholen. Alternativ darf es auch ein cappuccino sein. Der cappuccino ist ein Frühstückskaffee, weil er richtig satt macht. Übrigens, wer sich als Hardcore-Tourist outen will, der bestellt fleißig nach dem Mittagessen, oder gar nach dem Abendessen, einen cappuccino. Das kommt einer tödlichen Beleidigung gegenüber dem Koch gleich. Man sagt ihm damit, dass sein Essen entweder so schlecht, oder so wenig war, dass man nicht satt geworden ist, und daher einen sättigenden Frühstückskaffee braucht. Cappuccino trinkt man nur Vormittags, ansonsten gibt es nur Caffè, also den klassischen Espresso.
Dann war ich in unserem Büro. Schön war es, Paolo wieder zu sehen, den ich seit ich klein bin, kenne, und bei dem ich vor vielen Jahren nach der Schule und schon während dem Studium gearbeitet habe. Mittlerweile gehört die Firma ihm und meinem Papa je zur Hälfte. Nicht so schön war, Sabrina kennenzulernen. Sie spricht etwas deutsch, und macht jetzt zum Teil meinen Job, nämlich für deutschsprachige Kunden zu dolmetschen. Und macht mich somit hier ein Stück entbehrlicher, was meinen Rückkehrplänen eher entgegenarbeitet. Und obwohl ich mir alle Mühe gegeben habe, es nicht zu finden, war sie mir auch noch sympathisch.
Ich habe dann ein wenig erzählt, wie wir im Büro in Deutschland arbeiten, wie unsere Terminplanung aussieht, dass – außer mir – alle ab 8.00 Uhr morgens anwesend sind, dass wir Montag Vormittag und Freitag Nachmittag ein Meeting abhalten (bei dem ich meist fehle), morgendliche Verspätungen nicht geduldet werden, in den Meetings Fragenkataloge abgearbeitet werden, Anruferlisten zu führen sind und vieles mehr. Paolo hat sich vor Lachen auf die Schenkel geklopft. Als ich dann erzählt habe, dass es praktisch keine Mittagspausen gibt, sondern von acht Uhr bis siebzehn Uhr durchgearbeitet wird, und Mittagessen aus einem Sandwich besteht, das man nebenbei am Schreibtisch ißt, stand ihm das blanken Entsetzen im Gesicht.
In Italien arbeitet man bis ca. 13.00 Uhr. Dann geht man Essen, entweder nach Hause, oder in ein Restaurant. Vor halb vier – frühestens! – erwartet einen keiner zurück im Büro. Auch würde niemand auf die Idee kommen, einen Geschäftsanruf in dieser Zeit zu tätigen, man hat also wirklich seine Ruhe und versäumt nichts. Ich arbeite in Deutschland sehr viel von zu Hause aus, weil mich diese Büroatmosphäre in den Wahnsinn treibt. Aber als ich täglich nach meiner „italienischen“ Mittagspause zig Nachrichten auf meiner Mailbox hatte, habe ich diesen Rhythmus aufgegeben, es war einfach zu nervig, dann alles aufzuarbeiten.
Dafür arbeiten wir in Italien natürlich länger, der Feierabend beginnt später, die Kinder sind länger auf und man bekommt auch um zehn Uhr Abends noch etwas zu Essen, eben ein ganz anderer Tagesablauf.
Heute Nachmittag war ich ein paar Häuser ansehen. Wir verkaufen alte Ruinien, Rustici, also Bauernhäuser an Kunden, die diese dann wieder restaurieren und meist als Ferienhaus nutzen. Manche Häuser kaufen wir auch selbst und sanieren sie, um sie dann fertig weiter zu verkaufen. Ich vermesse dieses Häuser, fotografiere sie und mache die Planungen für den Umbau, als geometra bin ich auch berechtigt, Baupläne bei der comune (Gemeinde) einzureichen und genehmigen zu lassen. Es war wundervoll, wieder einmal in den alten Häusern herumzusteigen und sich durch Gestrüpp zu kämpfen. Manche dieser Häuser stehen seit Jahrzehnten leer, sie sind schwer zu finden, haben teilweise keine Hausnummer und einige erreicht man nur mit einem Allrad, wenn die Zufahrt nicht mehr existiert.
Auf dem Rückweg nach Hause war ich noch kurz in Ravenna, im historischen Zentrum und bin in eine der vielen Kirchen gegangen. Ich liebe diese Ruhe, die Zeit für ein paar Gedanken bietet. Aus dem Kloster hörte man die Mönche beim nachmittäglichen Gebet singen, und ich habe eine Münze in den Kirchenbrunnen geworfen, um mir etwas zu wünschen.
In Ravenna ist eines der schönsten Cafes, das ich kenne, das „Caffè Corte Cavour“, die Außenplätze sind in einem romantischen Innenhof und der Besitzer stellt dort auch seine Gemälde aus. Woran ich mich erst wieder gewöhnen musste, sind die aufdringlichen italienischen Männer, ich hatte fast vergessen, wie sie sich benehmen. In Deutschland kann man als Frau gehen, wohin man will. Eventuell bekommt man ein kurzes Lächeln, einen zurückhaltenden Blick, aber selten mehr. In Italien wird man als Frau ständig angesprochen, man bekommt Bemerkungen hinterhergerufen, eindeutige Angebote unterbreitet. Dagegen hilft nur der „Römerinen Blick“, ständig gelangweilt, desinteressiert und arrogant durch die Gegend zu laufen, die obligatrische Sonenbrille, die das halbe Gesicht bedeckt, tut ihr Übriges. Perfektioniert haben das die Frauen in Rom. Ich habe noch nirgends auf der Welt Frauen getroffen, die diese Rolle der unnahbaren, gelangweilten und desinteressierten Frau so perfekt speielen wie dort.
Meine Aufenthalt neigt sich dem Ende zu, heute Abend haben mich meine Freunde zu einem traditionellen Pizzaessen eigeladen, morgen bin ich nocheinmal auf unserem Hof. Paolo, mein Papa und ich müssen reden, ich kann meine Rückkehr nach München besser etragen, wenn ich weiß, wie lange ich noch dort bleiben werde. Wenn wir keine vernünftige Lösung finden, werde ich ausbrechen. Wenn es sein muss, arbeite ich lieber als Bedienung in einem Strandcafe, Hauptsache ich darf am Meer sein.
Dein Schreibstiel ist schön. Es macht Spaß zu lesen
LikeLike