14. Februar 1499 – Poggio San Marcello, Mittelitalien
Die Inquisiteure hatten wenig Zeit gehabt, sie wollten vor dem Unwetter noch weiter. Daher hatten sie nicht gewartet, bis der Scheiterhaufen ganz heruntergebrannt war. Sobald sie aufgehört hatte zu schreien, machten sie sich auf den Weg.
Als die Familie sehr spät in der Nacht kam, um den Leichnam abzunehmen, stellten sie fest, dass der Regen das Feuer gelöscht hatte, bevor es ihr Gesicht zerfressen konnte. Sie hing leblos und mit abgebranntem Unterkörper am Pfahl, den Blick geradeaus gerichtet, als suche sie halt in der Ferne. Eine Wange war wohl dem Feuer zu nahe gekommen und in der Hitze aufgeplatzt, ein Auge ausgelaufen, die Spur zeichnete sich als getrocknete Masse bis zur aufgeplatzten Stelle und war dort in den Mund gelaufen. Die andere Gesichtshälfte war unversehrt – ebenso wie die langen Haare, die ihr zum Verhängnis geworden waren.
Da der Friedhof für die Hexe nicht erlaubt war, trugen sie die Leiche bis sie eine kleine Höhle fanden, direkt unter einer kleinen Landstraße. Hier betten sie sie auf Laub, kämmten ihre Haare noch ein letztes mal und versperrten den Eingang zu ihrem Grab mit schweren Steinen, die sie wie eine Mauer aufschlichteten.
13. Februar 1799 – Poggio San Marcello, Mittelitalien
Es hatte lange Tage geregnet, der Bauer kam mürrisch und voller Zorn ins Haus geschlurft. Seine Frau stand gebückt an der Spüle, die langen Haare wallten wie lodernde Flammen um ihren Körper. Als sie Suppe und Wein auf den Tisch vor ihn stellte, war sie etwas ungeschickt und etwas von der heißen Flüssigkeit spritze auf seine Hand. Erschrocken wich sie zurück. Er sprang auf und schrie sie an und als sie noch weiter zurückwich schleuderte er ihr den Teller mit der fast noch kochenden Suppe ins Gesicht. Sie schrie auf und taumelte nach hinten zum Herd, so dass ihre langen Haare von den Flammen entzündet wurden. Er starrte fasziniert auf die Frau, durch die Hitze riß ihre Wange auf, ein Auge quoll unter der Hitze auf und platzte schließlich mit einem leisen Plop und lief ihre Wange herunter. Sie hatte den Blick in die Ferne gerichtet, nahm ihn nicht mehr wahr. Die trockenen Strohlager entzündeten sich in der Wohnstube wie Zunder. Endlich konnte er sich von ihrem Anblick lösen. Der Weg nach draußen war längst verwehrt, so lief er ein Zimmer weiter. Hier saß er in der Falle. Das Haus war an einem Hang gebaut. Oberhalb verlief die alte Landstraße, dieses Zimmer lag unterhalb der Straße. Er sah sich gehetzt um, kein Fenster, keine Türe, draußen nur eine Wand aus Flammen. Der alte Türbogen fiel in seinen Blick. Ein Torbogen, der ins Nichts führte, der zugemauert war, mit alten schweren Natursteinen. Dahinter, was dahinter war, das wusste er nicht, aber in seiner Todesangst griff er ein schweres Werkzeug und schlug die Mauer ein, torkelte schließlich entkräftet in die Höhle dahinter – und schrie. Es war Mitternacht vorbei – der 14. Februar brach an.
14. Februar 2009 – Poggio San Marcello, Mittelitalien
Als ich das Haus sah, wusste ich sofort, dass es das Richtige war. Es war wunderschön, eine Ruine, aber mit dem Charme, den nur Jahrzehnte schaffen können. Es musste ein furchtbares Feuer gegeben haben, auf der Nordseite sah man davon nichts, sie war nahezu unversehrt. Aber die Südseite hatte gelitten, zerklüftet schob sich der Mitteteil des Hauses in den Himmel, wie ein Gesicht. An der Stirnseite war das Haus durch die Hitze aufgeplatzt, eines der runden Fenster, ein „Rottella“ – wie ein Auge, schoss es mir durch den Kopf – war durch die Hitze geborsten, irgendeine Flüssigkeit war dabei herausgelaufen, die sich als eingetrocknete Spur bis zu der aufgeplatzten Stelle abzeichnete.
Ich versuchte mir einen Weg zu bahnen, durch all das Gerümpel, das irgendwelche Bauern im lauf der Jahre im Haus abgeworfen hatten. Durch die ehemalige Wohnstube kam ich langsam voran in den hinteren Teil des Hauses. Durch die Hanglage gab es hier keine Fenster, so dass ich mich im Licht der schwächer werdenden Taschenlampe nur mühsam orientieren konnte.
Ganz am Ende war noch eine Kammer, sie musste direkt unter der alten Landstrasse liegen. Die morschen Eichenbalken waren rußgeschwärzt, der ganze Boden sah aus wie ein Kohlenkeller, an den Wänden konnte man sehen, wo das Feuer versucht hatte, noch mehr Nahrung zu finden. Ein leises rühren ließ mich aufhorchen und so fiel der alte Torbogen in meinen Blick. Er war sauber, fast schon strahlend weiß, wie ein Eingang zu einer Höhle. Die Taschenlampe gab kaum mehr als ein Glimmen von sich, ich konnte gerade so viel erkennen, dass die Türe zugemauert worden war. Gemauert ist übertrieben, es waren einfach die klassischen Natursteine aufgeschlichtet. Teilweise aber waren sie wohl herausgefallen, so dass an einigen Stellen größere Löcher entstanden waren. Neugierig tastete ich mich näher, versuchte in eines der Löcher zu leuchten, aber die Lampe strahlte nicht mehr weit genug. Ich rätselte über dieses Rührgeräusch nach, als ich mir einbildete, den Geruch von Suppe zu erahnen.
Durch die Stunden im Haus hatte ich nicht mitbekommen, wie das Unwetter aufgezogen war, als die ersten Donner losbrüllten bebte förmlich der Boden, das Gewitter musste unmittelbar über dem Haus sein. Irgendwo musste es doch einen zweiten Weg nach draußen geben, denn als die ersten Blitze sich entluden, tauchte die Kammer in gleißendes Licht, fast war es so, als könnte man minutenlang plötzlich sehen. Als wieder einer dieser besonders hellen Blitze zuckte, sah ich in der Höhle die Frau stehen, sie rührte am Herd, ihre langen Haare wallten um sie herum, sie war jung und schön. Ich konnte nur ihr Profil sehen, bis sie sich langsam mir zuwendete. Ihre mir abgewandte Gesichtshälfte war entstellt, ihre Wange war aufgerissen bis in die Mundhöhle, ihr rechtes Auge nicht mehr vorhanden. Plötzlich Dunkelheit.
Ich entzündete mein Feuerzeug, schrie in die Höhle, versuchte sie auszuleuchten – natürlich war sie leer, der Geruch, der mir entgegenschlug widerlich. Ich blickte auf den Steinhaufen, der aus der Mauer gefallen sein musste und begann hastig, die Mauer zu flicken. Alle Steine passten exakt in die Löcher, auf den Millimeter genau. Nur ein Stein blieb übrig. Er musste aus einem Teil weiter drin in der Höhle stammen. Er war keilförmig, sandigbraun. Eine kleine Spur daran sah aus wie – ein Rest Blut.
Nachdem ich irgendwie nach draußen gestolpert war, bemerkte ich, dass ich den Stein immer noch in der Hand hielt. Ich konnte nicht sagen warum, aber ich verbarg ihn am Rande der kleinen Hütte, um ihn später wieder zu finden.
Als ich mich vom Haus entfernte, drehte ich mich nochmals um. Die Blitze zuckten über den Himmel, es goss und der Sturm wuchs sich aus zum Orkan. Das Haus stand trotzig da, dahinter eine riesige Trauerweide, deren Zweige im Wind wallten und das Haus umschlossen wie langes Haar.
So sah die zugemauerte Türe aus:
Das sind die Spuren des Feuers:
So habe ich die zugemauerte Türe hergerichtet. Was dahinter ist, weiß ich nicht, dort landet man unter der Straße. Der weiße Fleck ließ sich nicht entfernen. Schaut man ihn lange an, finde ich sieht er aus wie ein Engel…
Einmal mehr, kreativ, viel Phantasie, was ich bewundere und mich frage, wie viel Kraft brauch es bis das Gerüst zu der Geschichte steht und du deinen Stempel aufdrücken kannst.
Schreiben musst du die Sache ja auch noch.
Ich danke dir für dein ‚intermezzo‘, für mich ein Genuss.
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Das Haus gibt es wirklich, auch die Höhle darin, mein Kopf baut dann aus diesen Bildern die Geschichte zusammen
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Krasse Geschichte, spannend und ergreifend getextet. Ein Schaudern lief mir über den Rücken. wow!
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Vielen Dank, das ist so schön, so ein Feedback zu bekommen
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Langsam klingt die Gänsehaut ab…..
Vielen Dank, du kleines vielseitiges Genie!!
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Danke Dir ganz herzlich!
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Wie immer spannend erzählte Geschichte. An einem Buch arbeitest Du schon? 🙂
Übrigens, wer schlief dann ruhig in diesem Haus nach Deiner Story? 😉
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Lieben Dank! Es hat eine Familie gekauft, das wurde wieder wunderschön.
Ein Buch, nein, bis jetzt nicht 🙂
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Wow, ich bin überwältigt. Die Geschichte kann echt fesseln. ^^ ICh darf mir das alles gar nicht so Bildlich vorstellen wie du es geschildert hast, sonst kann ich heute Nacht nicht schlafen.
Sehr gut geworden 🙂
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Dankeschön ❤
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