…Wir waren zurückgefahren und saßen nun in der Bar gegenüber der Agentur, diesmal zusammen. Dieter redete seit fast einer Stunde auf mich ein, beschrieb mir das Konzept, den Zeitplan, das Budget für die Ausstattung und vieles mehr. Ich hörte kaum zu, die Gedanken in meinem Kopf flogen durcheinander und wenn mich etwas beschäftigt, kann ich mich auf nichts anderes mehr konzentrieren.
„Hörst Du mir eigentlich zu?“
„Siiiii.“ Scheiße, jetzt fing ich schon an wie diese Trulla in seinem Büro. „Si!“ schob ich nochmals bekräftigend hinterher.
Er nickte zustimmend und redete weiter. Und plötzlich fiel mir auf, dass wir die ganze Zeit Italienisch gesprochen hatten. Im Sommer, als wir uns kennenlernten, hatte sein Wortschatz noch nicht für so ausführliche Gespräche gereicht. Noch etwas, dass sich als weiterer Gedanke in meinem Kopf zu all den anderen Gedanken mischte. Ich musste nachdenken, dringend, allein.
Wir hatten uns nach dem caffè noch Wein bestellt und ich trank mein Glas in einem Zug leer.
„Es ist spät geworden, ich habe noch eine weite Fahrt.“
Prüfender Blick, dann griff er in seine Jacke und schob mir seine Visitenkarte zu.
„Hier, ruf mich an, ruf mich auf jeden Fall an, ja?“
Ich nickte. „Ja, ich ruf Dich an. Und Du hast meine Nummer in der Bewerbungsmail, die ich euch geschickt habe.“
Er wollte sich erheben, als ich aufstand, aber ich legte kurz meine Hand auf seinen Arm, drückte ihn sanft und schüttelte den Kopf.
„Ich melde mich bei Dir. Ciao. Bis morgen.“
Das „bis morgen“ war mir so rausgerutscht. Scheinbar war mein Unterbewusstsein schon weiter als ich.
Dann ging ich schnell aus dem Lokal. Ich wollte um alles in der Welt eine Abschiedsszene auf der Straße vermeiden. Zu unsicher war ich – waren wir beide – nach dem Abend am Leuchtturm.
Ich fuhr nur zwei Straßen weiter. Dann hielt ich nochmals an und speicherte seine Telefonnummer in meinem Handy ab. Ich nannte den Eintrag „Dieter M. – Kunde“, aus Vorsicht, denn Stefano hatte die blöde Angewohnheit, regelmäßig, wann immer er mein Handy in die Finger bekam, das Adressbuch und die SMS-Nachrichten auf verdächtige Inhalte zu durchsuchen. Ich gab mir immer Mühe, mein Handy nicht herumliegen zu lassen, aber ich vergaß es einfach zu oft.
Die autostrada war um diese Zeit leer, und ich hing meinen Gedanken nach. Da war dieses Projekt, das einfach wundervoll war. Ich würde sonstwas drum geben, es machen zu dürfen. Ich könnte mich austoben, ein ganzes Borgo komplett nach meinen Ideen zu gestalten. Der Ablauf bei einzelnen Häusern war oft nicht so spannend. Die Häuser wurden prinzipiell unrenoviert angeboten. Jeder Käufer hatte dann ganz eigene Vorstellungen. Es gab die Individualisten, die sich einen Lebenstraum erfüllten. Dieser Traum beinhaltete meist auch den Plan, soviel wie möglich selbst an dem Haus zu machen. Die Arbeiten, die sie selber nicht erfüllen konnten, um diese Chaoten herum zu planen, war nervenaufreibend. Dann gab es die Besserwisser. Sie kamen mit der Einstellung, dass italienische Produkte sowieso Müll sind und wollten von der Steckdose über die Heizanlage bis zu Fenstern und Türen alles aus Deutschland kommen lassen. Das war das Schwierigste. Die vorherrschende Meinung, im Süden ist ja alles ganz locker, verführt viele dazu, zu denken, sie könnten machen was sie wollen. In Wirklichkeit haben wir so viele Auflagen und Gesetze, dass diese Häuser, vollgestopft mit ausländischer Technik, keine Abnahmebescheinigungen bekommen und somit quasi unverkäuflich werden. Zudem machen solche Baustellen Probleme ohne Ende. Ein zweihundert Jahre altes Natursteinhaus schert sich nämlich wenig um deutsche Industrienormen. Der Schreiner vor Ort, der Fenster und Türen für diese alten Häuser anfertigt, weiß das, und er passt seine Produkte entsprechend an. Dass das billiger und schneller geht, ist diesen Kunden meist nicht zu vermitteln. Und dann gibt es natürlich noch die Käufer, die eine komplette Restaurierung möchten. Das macht am meisten Spaß, aber man muss jedes Detail mühsam mit den Kunden erarbeiten, was sehr zeitaufwändig ist.
Bei diesem Borgo war es anders. Ich würde die komplette Planung nach meinen Vorstellungen machen, erst wenn alle Details feststanden, würde es in den Verkauf gehen.
Und dann war da Dieter. „Dieter“ sagte das kleine Teufelchen auf meiner rechten Schulter. „Du machst das doch nur wegen ihm.“
Ich spielte das mal durch. Ich würde also meiner Familie sagen, dass ich die nächste Zeit einen großen Auftrag bearbeiten würde. Es war ja nah genug, um zu pendeln. Von Dieter müsste ich ja nichts erzählen. Warum auch, ich hatte nichts mit ihm, es war nie etwas passiert. Und ich war schließlich vernünftig genug, dass auch nichts passieren würde. Er hatte den damaligen Abend mit keinem Wort erwähnt, keinerlei Avancen gemacht, war sehr sachlich gewesen, professionell. Er war sicher nicht so bekloppt wie ich und hatte viel darüber nachgedacht, was damals los gewesen ist. War mit pochendem Herzen am Briefkasten gestanden, oder hatte nachts in die Sterne geschaut und an mich gedacht.
„Mistkerl,“ sagte ich plötzlich laut vor mich hin. Ihm war das wohl alles egal. Ich zwang meine Gedanken wieder zurück zum Thema. Da war auch noch Stefano, mein Freund, meine Sandkastenliebe. Allen war schon immer klar, dass wir zusammengehörten. Es wurde erwartet, dass wir bald einmal heiraten, eine Familie gründen. Es war so selbstverständlich, dass wir ein Paar waren, dass ich lange Zeit nie auf die Idee gekommen war, das in Frage zu stellen. Wenn ich den Auftrag annahm, dann war ich mindestens ein Jahr sehr intensiv damit beschäftigt, ich würde Dieter oft sehen und viel Zeit mit ihm verbringen. Und das gehörte sich nicht. Es sei denn, da war wirklich nichts. Diese Gedanken machten mich langsam verrückt und ich wurde ganz kribbelig.
Ich kam sehr spät zuhause an und hatte Hunger, war aber zu faul, mir etwas zu machen, und so öffnete ich nur eine Flasche Wein und setzte mich vors Haus auf die Terrasse. Die Bilder dieses Tages flogen durch meinen Kopf und ich versuchte sie abzustellen. Die Silhouette des Leuchtturms zeichnete sich gegen den klaren Abendhimmel ab und ich versuchte, mich ganz auf dieses eine Bild zu konzentrieren. Und dann hatte ich mich plötzlich. Ja. Das war der Punkt. Das Ergebnis waberte langsam aus meinem Unterbewusstsein hoch und ich musste grinsen. „Liebe Chiara,“ sagte ich laut zu mir selbst „wenn das heute nicht Dieters Firma gewesen wäre, würdest Du dann auch nur eine Sekunde überlegen, diesen Auftrag anzunehmen?“ Ha! Das war der Punkt. Ich ließ mir doch wegen Dieter nicht diese wahnsinnige Chance entgehen, ein ganzes Borgo zu restaurieren…
iL Tedesco – Der Deutsche ist soeben als Buch erschienen:
-> Taschenbuch
-> ebook
Du schreibst sehr gut. Gefällt mir.
lieben Gruß
woiz
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Vielen Dank! Das freut mich sehr zu hören!
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Ich frage mich gerade, wann das alles war? Ist der Borgo bereits fertig oder noch in Arbeit?
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Schon lange. Das liegt ein paar Jahre zurück.
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