Es ist Mittag vorbei, ich schaue aus dem Fenster, in München, auf den Kirschbaum. Seine Blüten sind weiß. Ok, eigentlich sind sie eher schmutzig-weiß-grau. Ich kann nicht einmal erkennen, ob das Blüten sein sollen, die JETZT blühen, oder ob das schon verblühte sind. Ich fürchte aber, es sollen aktuelle sein…
Es ist Mittag, gegenüber hat ein Rentner begonnen, Holz zu sägen, pünktlich zur Mittagsruhe. Eine alte Frau sitzt im Garten, ihr Radio auf volle Lautstärke, nebenan wird wütend ein Fenster zugeschlagen. Mich stört es nicht, ich mag Geräusche. Sie bedeuten, dass um mich herum Leben stattfindet. Dass da andere Menschen sind, die jetzt gerade etwas tun, von dem sie denken, es ist richtig, es jetzt zu tun.
Ich bin müde. So unglaublich müde. Ich schließe für einen Moment die Augen, spüre die wärme im Zimmer, es ist heiß hier drin, die Sonne knallt in die großen Panoramafenster. Die Geräusche werden zu einem Murmeln, einem Brei aus verschiedenen Quellen, die sich langsam und träge vermischen, mich in einen Strudel spülen. Wenn ich die Augen ganz fest zudrücke, explodieren Farben, die sich in Wellen vor meinem Geist schwingen, pulsieren, sich erneuern, intensiver werden.
Ich lasse mich im Stuhl nach hinten sinken und sehe eine Piazza, eine große Piazza, mit Kopfsteinpflaster. Das Bild gefällt mir, ich beschließe, zu bleiben.
Es ist Mittag. Die Piazza ist fast quadratisch, alte historische Gebäude umringen sie an an allen vier Seiten. Wie üblich sind fast alle Fensterläden angeklappt. Das Kopfsteinpflaster glüht, die Sonne brennt darauf und setzt allerlei Gerüche frei, die sich dort angesammelt haben. Es muss August sein, oder wenigstens Juli. Die obligatorische Bar hat ihre Markise ganz ausgefahren, der Schuster hat geschlossen, er ist wohl Zuhause, bei seiner Familie, Mittagessen, danach ein Schläfchen machen. Eine Katze, dort an der abgebröckelten Mauer, starrt stur auf eine Ritze, bewegungslos, hypnotisierend, hoffnungsvoll. Es geht ein ganz leichter Wind, der vom Meer her zieht. Aber der Wind ist warm, er reicht gerade so, den Schweiß etwas zu trocknen. Ein Hund läuft ganz dicht an der Mauer entlang, sucht den nicht vorhandenen Schatten, er hechelt. Eine alte Frau kommt aus der Kirche, ganz in schwarz, sie schlurft über den Platz, die Hitze scheint sie nicht zu bemerken. Vor mir steht ein Glas Weißwein, der Wein war eiskalt, als er kam. Das Glas ist beschlagen, Kondenswasser läuft aussen herab, in kleinen Perlen, er schwitzt, denke ich. In der Bar dudelt Musik, schält sich plötzlich aus dem Geräuschebrei heraus, ich drehe langsam etwas den Kopf, versuche es zu verstehen. Es ist eine Verkehrsdurchsage. Auf Deutsch. Ich bin an meinem Schreibtisch. Zurück. Und so unglaublich müde.
TAGTRAUM
April 19, 2012 von Chiara Ravenna (ladyitaly)
Wunderschön, fühle mich beim lesen wieder, in einem kleinen Ort in Süditalien. Genau so ist es!
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Das freut mich, dass es Dir gefällt, Danke!
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Es gelingt Dir immer wieder vortrefflich, mich zu entführen, mich auf deine mentalen Reisen mit zu nehmen. Eigentlich fehlte nur noch die schwere dumpfe Kirchenglocke, die ein leises Vibrieren über die Piazza huschen liess und ankündigte, dass Mittagszeit ist. Bei jedem Glockenschlag rannen die Kondenswassertropfen ein wenig schneller am Glas herunter.
P.S. Aber, du solltest Dich bei der Arbeit konzentrieren am Schreibtisch. 🙂
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Danke für das „geistige entführen“ in eines meiner Lieblingsländer Europas, passend dazu haben wir gerade einen kurz Urlaub in Italien gebucht 😛
P.S.: In 16 Tagen geht es los 😉
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Das freut mich, Dankeschön und viel Vergnügen in Italien
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