Kapitel 2
…ich fuhr durch die Hügel im Hinterland von Ancona, es war Ende Februar, aber bereits so warm, dass ich das Verdeck offen hatte. Ich war auf dem Weg zur Baustelle und genoss die Fahrt in vollen Zügen. Ich jagte den kleinen smart durch die kurvenreichen Straßen und jedes mal, wenn ein langsames Auto vor mir auftauchte drückte ich kurz auf die Hupe und schoss daran vorbei. Ich musste plötzlich an den Abend im Winter denken, als ich auf der Terrasse gesessen war und mich entschieden hatte, den Auftrag anzunehmen. Ich hatte nachts kaum geschlafen und Dieter am nächsten morgen bereits gegen 5 Uhr aus dem Bett geklingelt, um ihm meine Entscheidung mitzuteilen. Wir hatten uns seitdem oft gesehen, aber nie allein, zu viele Dinge mussten geregelt werden, so dass wir meist Anwälte, Geschäftspartner oder andere Mitarbeiter aus seinem Büro bei unseren Gesprächen dabei hatten.
Stefano war ausgeflippt, als er hörte, dass ich fast 150 km entfernt einen so langfristigen Auftrag begonnen hatte. Er wollte alles über die Firma wissen und unterstellte mir wie immer sofort, dass ein anderer Mann dahinter stecken würde. Und ich, ich war froh, so viel unterwegs sein zu können und legte viele Termine extra so, dass ich ihn möglichst wenig sah.
Die nächste Kurve nahm ich etwas zu schnell und die ESP-Lampe fing wild an zu blinken, während vor mir eine verrostete Ape auftauchte. Ich riss das Lenkrad nach links und scherte recht knapp vor dem entgegenkommenden LKW wieder ein, der sich mühsam den Berg hochschleppte. Ich dachte erst, dieses komische Geräusch käme aus dem Radio, aber es war die Sirene, die das Polizeiauto hinter mir eingeschaltet hatte. Mist, ich sah wegen des heruntergeklappten Verdecks nur das Blaulicht, aber nicht, was für ein Auto es war. Im Außenspiegel sah ich die Lichthupe wild aufblinken und nach einem knappen Kilometer wurde die Option, mich mit der Ausrede, ich dachte, das Ganze gelte nicht mir, davon zu kommen, immer kleiner. Also ließ ich das Auto langsam rechts am Fahrbahnrand ausrollen. Mein Verfolger hielt ein Stück hinter mir und ich erkannte erleichtert, dass es nur die Polizia Municipale war, Gott sei Dank keine Carabinieri.
Ich habe später in Deutschland immer wieder im Fernsehen gesehen, was man sich mit der dortigen Polizei alles erlauben darf. In Italien sollte man das lieber nicht tun. Speziell, wenn es sich um Carabinieri handelt. Sie tragen diese furchteinflößenden Uniformen mit den kniehohen Lederstiefeln und nehmen ihre tiefschwarzen Sonnenbrillen nie ab. Kommt man ihnen blöd, ist ganz schnell Schluss mit Lustig. Die „Gemeinde“-Polizei ist da etwas gemütlicher, aber man sollte wirklich nie respektlos sein. Unser Land verfügt über so viele wirre Gesetze, die niemand kennt und keiner versteht. Ein Kinderspiel für jeden Polizisten dich stundenlang festzuhalten, wenn er es darauf anlegt.
Der Polizist war ausgestiegen und kam von hinten zu mir heran. Ich ging die gängigen Ausreden durch, die kranke Mama, die dringend Medizin braucht, die Oma, die im Sterben liegt, dann fiel mein Blick auf meine nackten Beine. Ich trug Shorts an diesem Tag. Ich bin nicht eingebildet, im Gegenteil, ich laufe fast immer ungeschminkt rum, achte wenig auf meine Kleidung, bin meist von irgendeiner Baustelle schmutzig oder hab vom Rumklettern in Ruinen blaue Flecken. Aber meine Beine sind toll. Auf die bin ich stolz. Viele tausend Kilometer mit dem Rennrad in unseren Hügeln pro Jahr sorgen dafür, dass sie schlank und durchtrainiert sind. So stieß ich die Türe auf, und als er fast an meinem Auto war, schwang ich beide Beine parallel aus dem Fahrzeug, ließ einen Moment verstreichen und stieg dann ganz aus. Treffer! Er bekam sein Strahlen einen Hauch zu spät wieder aus dem Gesicht, als er versuchte, mich streng anzusehen.
„Guten Morgen, Ispettore.“ Ich nahm dabei die riesige Sonnenbrille ab, sah möglichst schuldbewusst drein und ließ meine Unterlippe leicht zittern.
„Guten Morgen, Signorina.“ Pokerblick.
Unsere Augen trafen sich, jeder versuchte, den anderen einzuschätzen, seine Möglichkeiten auszuloten.
„Werden Sie mich verhaften?“ Ängstlicher Blick.
Er zog die Augenbrauen hoch, starrte mich an, ließ den Blick rauf und runter wandern. Unsere Blicke trafen sich wieder. Und dann lachte er. Erst leicht, versuchte es zu unterdrücken, lief rot an, und dann platze es aus ihm heraus, ein dröhnendes, lautes Lachen, sein Schnurrbart zitterte und seine Augen füllten sich mit Tränen. Und als ich diesen gemütlich aussehenden Mann so sympathisch lachen sah, konnte ich auch nicht mehr, und ich fing ebenfalls an. Zwei Menschen, die sich kaputt lachten. Schließlich wischte er sich die Tränen ab und grinste mich an:
„Wohin wollen Sie denn so eilig?“
„Ich muss zur Arbeit, nach Montecarotto.“
„Und Sie sind spät dran?“
„Nooo.“ Ich dehnte es lang, dieses Nein. „Ich war nur….etwas in Gedanken.“
„Was machen Sie in Montecarotto?“
Und ich erzählte ihm von dem Borgo, dass ich gerade dabei war, die Gebäude zu vermessen, dass kein Mensch dort auf mich wartet, ich keinen Termindruck habe und einfach so zu schnell gefahren war. Und er erzählte mir von seinem Urgroßvater, der hier in der Gegend Wein angebaut hatte, und wir kamen auf die Unterschiede zur Emilia Romagna zu sprechen und fingen ein wenig an zu streiten, ob der Rosso Conero aus den Marken wirklich so viel mehr Körper als ein gut ausgebauter Sangiovese aus der Emilia haben würde und er beendete die Diskussion, indem er mir von seiner Frau erzählte, und dass ich gerne einmal zum Essen kommen sollte, am besten am Freitag und ich nahm das an, nachdem er mir die Fotos von seiner Frau und den drei Kindern gezeigt hatte.
Als ich weiter fuhr, waren Pietro und ich per Du und quasi schon fast alte Freunde.
Ich fuhr ganz anständig, solange Pietro noch eine Weile hinter mir herfuhr. Und als er dann im nächsten Ort abbog gab ich wieder Gas, um endlich zum Borgo zu kommen…
iL Tedesco – Der Deutsche ist soeben als Buch erschienen:
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