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Posts Tagged ‘Restaurierung’

…nachdem ich die Baugenehmigung für unser Haus hatte, gab es für mich praktisch kein anderes Ziel mehr, als es bis Weihnachten fertig zu bekommen. Ich musste mich vierteilen, denn das Borgo, unser Verkaufsprojekt, hatte natürlich Vorrang. Zumindest für Dieter. Ich dagegen zog gelegentlich Arbeiter von dort ab, um sie bei unserem Haus einspringen zu lassen. Normalerweise rechnet man für eine Restaurierung circa ein Jahr. Alleine das Entkernen der Ruinen dauert schon viele Wochen. Eigentlich. Ich bezirzte jeden Handwerker, für mich Sonderschichten einzulegen, erstellte aberwitzige Zeitpläne, die eigentlich völlig unrealistisch waren und garantiert dazu führen würden, dass einige Gewerke miteinander kollidieren mussten. Aber ich liebe Chaos, und so war ich vollkommen in meinem Element. Ich hatte drei Handys, weil immer eines entweder leer war oder ich eines verlegte, schlief fast nicht mehr und pendelte nur noch zwischen der Baustelle auf dem Borgo und unserem Haus hin und her.

Als die Arbeiter das ganze Gestrüpp rund um unserer Haus mit dem Raupenbagger entfernten und all den Unrat aus dem Haus schafften, der es vorher fast unbegehbar gemacht hatte, stellte sich auch noch heraus, dass die Grundrisse vom Katasteramt wie immer falsch waren. Natürlich war auch dieses Haus in den vielen Jahrzehnten immer wieder angebaut und verändert worden. Teilweise wohl zu einer Zeit, als es noch kein Kataster gegeben hatte, und später natürlich einfach ohne Genehmigung und somit auch ohne Pläne. Was man vorher unmöglich hatte erkennen können, war, dass unser Haus gar keinen quadratischen Grundriss hatte. Irgendwann waren zwei kleine Seitenflügel angebaut worden, offensichtlich so unauffällig, dass man es von weitem nicht gleich erkennen konnte. Dadurch war in der Mitte eine Art Innenhof entstanden, der zur Hangseite hin offen war. Das war natürlich traumhaft, bedeutete aber, dass meine ganzen Pläne für die Mülltonne waren. Ich musste die gesamte Innenaufteilung neu planen, alle Zimmer neu anordnen und auch alle Installationen für die Bäder neu einteilen. Aber auch das war mir egal. Die neue Aufteilung war viel schöner, als mein erster Entwurf, und im Erdgeschoss entstand so ein weiterer Raum, den es vorher in meiner Planung nicht gegeben hatte.

Jetzt kam man zu einem der drei Eingänge direkt in die riesige Wohnküche, die fast den gesamten Erdgeschossbereich einnahm. Im Querflügel hatte ich die Innentreppe eingeplant. Viele Häuser haben nur Aussentreppen, da unten früher nur die Ställe gewesen waren, als die Häuser noch als Bauernhöfe genutzt wurden. Am Ende dieses Querflügels war das Zimmer, das vorher gar nicht existiert hatte. Ein großer Raum, der fast halb in den Hang gebaut worden war. Zur Talseite hin konnte man direkt auf die Terrasse treten, auf der gegenüberliegenden Seite war ein Rundbogen, archaisch gemauert, der die Dicke der Mauer von fast einem Meter erkennen ließ. Dahinter war der Hang, der das Haus an dieser Seite begrenzte. Ich konnte mir nicht erklären, warum man diese Türe zugemauert hatte, sicher war dahinter die Cantina, der Keller, für Lebensmittel und Wein gewesen. Aber das Geheimnis würden wir später lüften, wenn wir die Wand aufbrachen.

Zu neugierig wäre ich gewesen, was sich dahinter wohl verbergen würde. Der Rundbogen der ehemaligen Türe war so sorgfältig gemauert, ganz unüblich nur für den Zugang zu einer Cantina. Der erste Schritt bei einer Restaurierung ist immer, alle Räume sandzustrahlen. Dabei lösen sich alle Farb- und Putzreste von den Wänden, die Balken werden von ihrer äussersten Schmutzschicht befreit und man sieht danach viel besser, wo marode Stellen an Mauern, Dach oder Balken sind. Als der Arbeiter diesen Raum mit dem Sandstrahler fertig bearbeitet hatte, wartete ich, bis sich der Staub soweit gelegt hatte, das man wieder etwas erkennen konnte. Und als ich dann im Zimmer stand, und auf den Rundbogen sah, war ich fassungslos. Auf der Mauer zeichnete sich die Figur eines Engels ab. Ganz in weiß. Ein Engel, der waagrecht in der Luft zu schweben schien, die Arme nach vorne ausgestreckt hatte und dort etwas hielt, das mit etwas Phantasie eine Kerze sein könnte. Der Arbeiter war neben mich getreten.
„Ich habe keine Ahnung, was das ist. Ich bin dreimal über die Stelle gegangen, es lässt sich nicht entfernen.“
Ich nickte und trat näher heran. Als ich mit der Hand über die Zeichnung strich, ganz behutsam, konnte ich nicht ausmachen, was es war. Man fühlte keine Farbe, die sich leicht abheben würde. Die Stelle war auch nicht glatter, so dass man an Säure hätte denken können. Es war mir ein absolutes Rätsel. Es schien, als sei das Bild so tief in den Felsen eingebrannt – „als würde es von innen kommen“, ging mir kurz durch den Kopf. Ich weiß bis heute nicht, was das war, aber ich beschloss damals, dass wir den Durchgang zugemauert lassen und das Bild nicht zerstören. Nun würde ich dieses Geheimnis wohl nie mehr lüften…

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…Dieter wartete zuhause auf mich, kaum dass ich die Türe öffnete, stand er im Flur. Ich sah vermutlich wie ausgespuckt aus, denn er sah mich seltsam an, während ich so was wie ein Lächeln versuchte. Er hatte mir angeboten, mitzufahren, das Gespräch zusammen zu führen, sich meinen Eltern vorzustellen. Ich war froh, dass ich das abgelehnt hatte. Mein Vater wäre vermutlich noch mehr ausgerastet, als er es ohnehin schon getan hatte und bei dem Gedanken musste ich plötzlich lachen. Dieter sah mich noch eine Spur seltsamer an und ich konnte plötzlich nicht mehr aufhören. Ich lachte so sehr, dass ich Schluckauf bekam und mir die Augen tränten und irgendwann fiel er mit ein und da standen wir in der winzigen Diele und lachten uns kaputt. Irgendwann wischte ich mir die Tränen aus den Augen und sah liebevoll in sein vom Lachen noch ganz rotes Gesicht. So also fühlte es sich an, endlich frei zu sein.

Der Sommer begann langsam und ich hatte nur ein Ziel, ich wollte Weihnachten in unserem neuen Haus sein. Das war fast unmöglich, aber ich wollte es unbedingt. Das Haus zu kaufen war schnell abgewickelt. Ich räumte alles an Geld leer, was ich die letzten Jahre zusammengespart hatte und schaffte es tatsächlich, meinen Anteil aufzubringen.

Das größte Problem war die Baugenehmigung, die alleine schon leicht ein halbes Jahr dauert – wenn man Glück hat. Diese alten Häuser sind fast immer gleich aufgebaut, unten waren früher die Ställe, oben wurde gewohnt. Man benötigt eine Umwidmung für Wohnzwecke und eine Genehmigung für die Restaurierung. Dieter bremste mich daher ein, aber ich wusste schon, wie ich das lösen konnte.

Ich zeichnete und plante fast drei Tage am Stück, ich aß nichts, ich füllte nur einen caffè nach dem anderen in mich rein und als ich alle Unterlagen zusammen hatte fuhr ich zur Gemeindeverwaltung. Ich sah furchtbar aus. Drei Tage fast ohne Schlaf, die Haare wirr, blass, Augenringe, schwach auf den Beinen vor Hunger. Aber all das gehörte mit zu meinem Plan.

Die Verwaltung war im municipio, dem Rathaus, das wie in jedem kleinen Ort auf der Piazza steht. Ein altes, ehrwürdiges Gebäude, mit Flaggen, großem Holzportal, Stuck und einem Beamten vor dem Eingang. Ich setzte mehrmals an, hinein zu gehen und drehte im letzten Moment immer wieder um, weil mein Herz vor Aufregung plötzlich pochte.
Als ich schließlich in das Büro des zuständigen Sachbearbeiters mehr wankte als ging, muss es so ausgesehen haben, als würde ich gleich unter meiner Planungsmappe zusammenbrechen. Guiseppe sah mich erschrocken an, klappte den Mund auf, wieder zu. Setzte nochmals neu an.
„Chiara, geht’s dir gut?“ fragte er schließlich.
Ich stöhnte nur und ließ mich schwer auf den Besucherstuhl sinken.
„Möchtest du ein Glas Wasser?“
Ich hob nur die Hand, betrachtete sie erstaunt und ließ sie wieder sinken.
„Chiara, soll ich einen…“
„Nein, Guiseppe, nein, mir geht’s toll, echt.“ Ich flüsterte es mehr, als dass ich sprach.
Er wurde richtig unruhig. Und ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht los zu lachen.
„Guiseppe, ich bin erledigt!“, diesmal schrie ich fast.
„Was ist passiert?“ Volle Aufmerksamkeit jetzt bei ihm.
„Ich habe Mist gebaut. Am Borgo. Ich bin erledigt.“ Ich ließ meine Unterlippe zittern.
„Warum, was ist passiert, nun sag doch!“
„Ich habe…“, hier ließ ich meine Stimme kurz abbrechen, „ich habe ein ganzes Haus vergessen, bei der Genehmigung. Verstehst Du? Einfach vergessen. Die werfen mich raus!“, wieder zitternde Unterlippe.

„Du hast ein Haus vergessen, am Borgo?“
„Ja, ein ganzes Gebäude. Ich habe es nicht mit eingereicht, jetzt fehlt die Genehmigung und ich bin am Arsch“, eine Träne kullerte langsam aus meinem Auge.
Er sah mich verständnislos an. „Wenn Du es nur vergessen hast, mit beizulegen, dann können wir es in die bestehende Genehmigung einfügen. Das ist doch kein Problem.“
„Das, das würde noch gehen?“, stotterte ich.
„Ja, klar. Kein Problem. Hast Du die Pläne dabei?“

Klar hatte ich die Pläne dabei. Es war ja auch gar nicht mal so sehr geschwindelt. Bis auf die Kleinigkeit, dass es sich um unser Haus handelte, dass natürlich nicht zum Borgo gehörte. Aber, nun ja, meine Planung ansich entsprach allen Vorschriften und wäre eh so genehmigt worden. Irgendwann. In einem halben Jahr, vielleicht, oder so.
Guiseppe holte die Mappe vom Borgo, stempelte mir alles ab, unterschrieb alle Formulare, heftete die Pläne dazu, gab mir meinen Satz und ich hatte die Baugenehmigung für unser Haus in der Tasche.

Zurück auf der Piazza ging ich noch ein wenig verhalten, bis ich außer Sichtweite war, dann ließ ich einen Jubelschrei los, der einige der Alten, die wie immer auf ihren weißen Plastikstühlen das Geschehen beobachteten, zusammenzucken ließ und kaufte mir in der nächsten Bar erst einmal ein Frühstück…

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