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Posts Tagged ‘Meer’

Der Sommer war lang und heiß gewesen. Ich war wieder in mein kleines Haus am Meer gezogen. Es waren endlose und unbeschwerte Tage in diesem Sommer, tagsüber am Strand und abends mit Ausflügen in die Hügel, um etwas Abkühlung bei einem guten Abendessen zu finden. Ich ließ mich im Rhythmus der Natur treiben, ging oft früh schlafen und stand mit der Sonne auf. Es waren diese Tage, in denen man denkt, sie würden niemals enden, weil man sich einfach nicht vorstellen kann, irgendwann noch einmal etwas anderes zu machen, als sich völlig im Fluss mit sich selbst zu befinden.

Aber, wie jedes Jahr, wurden irgendwann die Schatten länger, der Tag ging früher und die Sonne stand später auf. Die ersten Freunde mussten abreisen, weil ihre Jobs auf sie warteten, und dann kommt immer dieser Tag, an den man lange nicht denken will, an dem es zum ersten Mal zu kühl wird, um zu schwimmen oder am Strand zu liegen, und man wehrt sich noch ein wenig dagegen, aber schließlich akzeptiert man es, und was bleibt sind die Erinnerungen, die man mitnimmt, in den Winter, und die einem Hoffnung geben, auf den nächsten Sommer, in dem sich dieses Unbeschwerte wiederfindet, und das ist letztlich das Glück, das man fühlt, die Erinnerungen an wundervolle Stunden.

Ende Oktober kamen die ersten Herbststürme, die den Winter ankündigten. Die Strände waren längst abgebaut und die letzten Touristen abgereist. Ich hatte in dieser Zeit immer wenig zu tun, niemand hatte Lust, jetzt, so spät im Jahr, noch eine Baustelle einzurichten. So saß ich selten im Büro und dafür um so öfter bei Paolo in der Bar, las dort, schrieb an Freunde und trank Wein – schweren roten Wein – der ein bisschen half, das Wetter nicht ganz so grässlich zu finden.

Die Zeilen oben sind aus meinem Roman ’’Die alte Abtei’’. Wie jedes Jahr fällt mir diese Zeit, in der es plötzlich so früh dunkel wird, die Tage kurz und kalt sind, sehr schwer. Ich brauche ewig, mich daran zu gewöhnen und kann gar nicht so viel Kleidung anziehen wie ich friere. Aber natürlich ist das rein subjektiv. Ich habe viele Freunde und Bekannte, die blühen auf, weil ihnen oft zu heiß war. Die freuen sich auf Schnee, Glühwein und kuschelige Abende Zuhause – im besten Fall am Kamin.

Wie geht es euch? Welche Jahreszeit genießt ihr am meisten? Welche Zeit im Jahr ist ’’eure’’ Zeit?

Wenn dir der Beitrag gefallen hat freue ich mich über ein ’’like’’ und natürlich ganz besonders, wenn du mich abonnierst.

Falls du Fragen hast, oder dir spezielle Themen wünscht, schreib mir einen Kommentar.

Bis zum nächsten Mal

Seid lieb gegrüßt

Chiara

Herbst am Meer

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Der Tauchunfall

Auszug aus Kapitel 1, von „Il Tedesco – der Deutsche“

5.

Das Ende dieser Belanglosigkeiten, über die ich noch ein paar Tage zuvor am Leuchtturm nachgedacht hatte, kam schon kurze Zeit später.

Meine Erinnerung setzt mit furchtbar grellem Neonlicht ein. Es ist ein Bild, dass ich seitdem wie eingebrannt in mir trage. Eine Frau, auf einer Liege, Menschen, die hektisch um sie herumlaufen, ihr Schläuche anlegen, Nadeln in sie stechen, aufgeregte Kommandos schreien, bis plötzlich alle zurückweichen, bis auf einen, der ihr zwei Metallteile auf die Brust hält, ein lautes Surren, ein Schlag, der Körper der Frau auf der Liege, der sich aufbäumt, wieder in sich zusammenfällt, das Ganze nochmal von vorne und plötzlich erinnere ich mich an einen Schmerz, einen so unglaublichen Schmerz, als ob der ganze Körper explodiert, und das Bild verschwimmt, und ich verschmelze mit der Frau auf der Liege.
Danach schwimme ich im Meer, sehr tief, es ist dunkel. Ich bin wie ein Fisch, ich atme das Wasser! Ich sauge es ein und aus, als hätte ich Kiemen. Es ist unglaublich, nur, dass es immer dunkler wird, und ich den Himmel über der Wasseroberfläche nicht mehr erkennen kann. Etwas später sehe ich „Zia“ (Tante) Roberta auf mich zuschwimmen. Sie ist alt, serh alt, weit über neunzig, und eigentlich schwimmt sie gar nicht gerne und ich will lächeln, aber es klappt nicht, und sie sieht mich nur an und nickt gütig, und es wirkt, als warte sie auf etwas. Ich habe viele dieser Träume, und immer haben sie mit Wasser zu tun, und irgendwann erkenne ich, dass ich ganz sicher keine Kiemen habe und Sauerstoff brauche, und ich bekomme Panik und ringe nach Luft und schreie dabei, und als ich die Augen öffne, sitze ich in einem Bett, und das Neonlicht ist grell, und ich muss mich übergeben, weil ich einen Schlauch im Hals habe, den ich zu hastig rausreisse. Während ich zitternd und keuchend im Bett sitze, kommen zwei Krankenschwestern und ein Arzt, und sie fummeln an dem Tropf herum, der in der Nadel in meinem Arm mündet und reden beruhigend auf mich ein, und ich atme ganz konzentriert, immer tief ein und wieder aus, und das mache ich so lange bis ich ganz sicher bin, dass es Luft ist, die ich atme und kein Meerwasser.

Niemand hat es bis heute geschafft, aus meinem Unterbewusstsein herauszuholen, was genau passiert ist. Ich war so dumm, die Tauchregel Nummer eins zu brechen. Ich bin alleine getaucht, wie schon so oft zuvor. Ich weiß auch noch, dass ich am alten Wrack war, aber was dort passiert ist, warum ich nicht mehr hochgekommen bin, all das liegt in der Dunkelheit des Meeres. Irgendjemand hat mich am Strand gefunden, mehr tot als lebendig und bis auf das Bild im Krankenhaus, als ich mich selbst beobachtet hatte, und die wirren Träume im Koma, setzt meine Erinnerung erst wieder ein, als ich mir diesen Schlauch aus dem Hals gerissen habe.

Vielleicht hätte ich wieder tauchen sollen, aber ich konnte mich nicht mehr dazu durchringen. Ich kann schwimmen, Boot fahren, wie früher. Ich liebe das Meer wie vor diesem Unfall, aber ich möchte nie mehr durch etwas anderes Luft holen müssen, als durch meinen Mund.

mare

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…der morgen war kühl, obwohl sich das Gewitter, das in der Nacht getobt hatte, schon weit raus aufs Meer zurückgezogen hatte. Ich war viel zu leicht angezogen, und als ich die Vespa am Strand abstellte, hatte ich Gänsehaut am ganzen Körper. Eigentlich war ich noch zu jung, um sie schon fahren zu dürfen, aber so früh war fast noch niemand unterwegs und ich hatte bis zum Strand darauf geachtet, nur kleine Kiesstraßen zu nehmen, auf denen normalerweise keine Polizei unterwegs ist.
Die Sonne stieg gerade aus dem Meer und wurde zum Teil noch von der Gewitterfront verdeckt, was dem Himmel ein bizarres Aussehen verlieh. Ich ließ meine Schuhe zurück und lief in großen Sprüngen runter ans Meer. Der Sand war eiskalt, so früh am morgen. Kaum zu glauben, dass man ihn gegen Mittag schon nicht mehr barfuß betreten würde können. Die Plastiktüte am Handgelenk schlurfte ich durch das seichte Wasser nah am Ufer und blieb nur gelegentlich kurz stehen, wenn ich eine brauchbare Muschel ausgraben konnte. Mama würde sie später mit Knoblauch und Kräutern kochen und als Beilage zur Pasta zum Mittagessen geben.
Ich weiß bis heute nicht, was diesen Morgen so seltsam machte, die Stimmung der aufgehenden Sonne mit den Gewitterwolken, die ungewöhnliche Kälte für Anfang September, ich habe keine Ahnung. Irgendwann wurde mir bewusst, dass viel zu wenig Menschen am Strand waren. Normalerweise sind um diese Zeit immer schon einige Muschelsucher, Jogger oder Spaziergänger auf den Beinen. Ich aber war alleine. Weil ich wenig Muscheln fand, lief ich anders als sonst auch noch weit über den Leuchtturm hinaus. Der Freistrand hier war berüchtigt, Nachts ließ sich hier niemand blicken. Dieser Abschnitt ist schmutzig, Treibgut wird nicht entfernt, Muschelreste nicht aufgesammelt. Zerbrochene Flaschen und Reste von Lagerfeuern erzählten die Geschichten von wilden Partys.

Strand

Am Strand sah ich ein Boot, ein altes Fischerboot, klein, schäbig. Drei Jungs standen dort. Als ich auf ihrer Höhe war, glotzten sie interessiert zu mir herüber.
„Was suchst Du?“
„Muscheln.“ antwortete ich zaghaft.
„Und, schon welche gefunden?“ mischte sich der Zweite ein.
„Geht so.“
Ich ging jetzt etwas schneller, ich wollte weiter.
„Schau dir das hier mal an.“ er zeigte auf das alte Boot.
„Nein, ich, ähm, habe keine Zeit.“
Unsicher. Ich war viel zu unsicher. Jedes Tier merkt, wenn du unsicher bist, hatte mir mein Vater beigebracht. Und das ist nie gut.
„Komm, es dauert nicht lang, du musst das sehen.“ er deutete wieder auf das Boot.
Ich sah mich um. Niemand weit und breit. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Vielleicht ganz kurz schauen und das dann als Anlass nehmen, direkt hoch zur Straße zu laufen, weg vom Strand…
Ich näherte mich dem Boot.
„Hier, da drin, schau.“ sagte er wieder.
Ich hatte das Boot erreicht, blieb etwas davor stehen, reckte den Kopf, um über den Rand zu blicken. Natürlich war da nichts, das Boot war leer und als ich gerade kehrt machen wollte, spürte ich die Hand des Einen an meinem Po. Ich schlug sie weg und funkelte ihn böse an. Der links von mir griff nach meiner Brust und ich trat nach ihm, verfehlte ihn aber und der Dritte nutzte diesen Moment um von hinten meine Arme zu packen und sie auf den Rücken zu drehen. Ich zappelte wie verrückt, versuchte nach den beiden anderen zu treten, erwischte den Einen zwischen den Beinen worauf er mir eine Ohrfeige verpasste, die mir ganz kurz die Besinnung nahm. Ich wurde nach hinten gezogen, konnte mich nicht auf den Beinen halten und fing an zu schreien. Die Hand, die mir der Kerl hinter mir daraufhin auf den Mund presste, roch widerlich und ich versuchte rein zu beißen, aber er drückte so fest zu, dass mir die Luft weg blieb. Während mir einer die Shorts runterriss zog der andere bereits seine Badehose herunter und dann vergewaltigten sie mich nacheinander, einer sogar zwei mal.
Ich weiß nicht mehr, was damals in mir vorging. Ich habe alle Gedanken und Gefühle daran jahrelang völlig unterdrückt. Und als ich irgendwann so weit war, dieses Erlebnis aufzuarbeiten, habe ich am Ende alles gelöscht.

Als sie von mir abgelassen hatten, lag ich wimmernd am Strand. Mir tat alles weh und als ich mich halb aufrichtete sah ich, dass meine Oberschenkel voller Blut waren. Ich versuchte mich an dem Boot hoch zu ziehen und als ich es fast geschafft hatte sackte ich wieder zusammen und schaffte es gerade noch, den Kopf zu drehen und erbrach mich mehrmals in diesen scheiss kalten Sand.

Ich habe keinerlei Erinnerung mehr daran, wie ich nach Hause kam. Ich weiß nur noch, dass ich mich tagelang in meinem Zimmer einsperrte und völlig ohne Regung Tag um Tag über mich ergehen ließ. Ich sprach mit niemandem darüber, ich wollte nicht ein Wort von diesem Erlebnis je aussprechen müssen. Ich lebte nur noch in einem Gefühl aus Ekel, Schmerz und Alpträumen.

Als ich vier Wochen später noch immer meine Regel nicht bekam, wurde zur Gewissheit, was ich schon seit Tagen gespürt hatte. Ich war schwanger.
Ich war ein minderjähriges, lediges, entjungfertes, schwangeres Mädchen in einem kleinen italienischen Dorf. Mein Leben war vorbei, noch bevor es richtig begonnen hatte…

iL Tedesco – Der Deutsche ist soeben als Buch erschienen:

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Ich wurde bei einigen Fotos die letzten Tage oft erstaunt gefragt, warum die Landschaft „wie eine Wüste aussieht“. Ganz einfach, hier in Italien sind die Jahreszeiten etwas anders als in Deutschland. Ende Juli sind fast alle Felder abgeerntet, weil es dann einfach zu heiß wird. Dafür ist es bei uns schon grün, wenn in nördlicheren Ländern noch kahle Bäume zu sehen sind. Unten mal ein Vergleich. Fast der gleiche Blickwinkel, einmal kahl und dürr vor wenigen Tagen im August, das erste Bild zeigt die gleiche Gegend im März diesen Jahres.

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Im März aufgenommen

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Vor wenigen Tagen im August aufgenommen

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TAGTRAUM

Es ist Mittag vorbei, ich schaue aus dem Fenster, in München, auf den Kirschbaum. Seine Blüten sind weiß. Ok, eigentlich sind sie eher schmutzig-weiß-grau. Ich kann nicht einmal erkennen, ob das Blüten sein sollen, die JETZT blühen, oder ob das schon verblühte sind. Ich fürchte aber, es sollen aktuelle sein…
Es ist Mittag, gegenüber hat ein Rentner begonnen, Holz zu sägen, pünktlich zur Mittagsruhe. Eine alte Frau sitzt im Garten, ihr Radio auf volle Lautstärke, nebenan wird wütend ein Fenster zugeschlagen. Mich stört es nicht, ich mag Geräusche. Sie bedeuten, dass um mich herum Leben stattfindet. Dass da andere Menschen sind, die jetzt gerade etwas tun, von dem sie denken, es ist richtig, es jetzt zu tun.
Ich bin müde. So unglaublich müde. Ich schließe für einen Moment die Augen, spüre die wärme im Zimmer, es ist heiß hier drin, die Sonne knallt in die großen Panoramafenster. Die Geräusche werden zu einem Murmeln, einem Brei aus verschiedenen Quellen, die sich langsam und träge vermischen, mich in einen Strudel spülen. Wenn ich die Augen ganz fest zudrücke, explodieren Farben, die sich in Wellen vor meinem Geist schwingen, pulsieren, sich erneuern, intensiver werden.
Ich lasse mich im Stuhl nach hinten sinken und sehe eine Piazza, eine große Piazza, mit Kopfsteinpflaster. Das Bild gefällt mir, ich beschließe, zu bleiben.
Es ist Mittag. Die Piazza ist fast quadratisch, alte historische Gebäude umringen sie an an allen vier Seiten. Wie üblich sind fast alle Fensterläden angeklappt. Das Kopfsteinpflaster glüht, die Sonne brennt darauf und setzt allerlei Gerüche frei, die sich dort angesammelt haben. Es muss August sein, oder wenigstens Juli. Die obligatorische Bar hat ihre Markise ganz ausgefahren, der Schuster hat geschlossen, er ist wohl Zuhause, bei seiner Familie, Mittagessen, danach ein Schläfchen machen. Eine Katze, dort an der abgebröckelten Mauer, starrt stur auf eine Ritze, bewegungslos, hypnotisierend, hoffnungsvoll. Es geht ein ganz leichter Wind, der vom Meer her zieht. Aber der Wind ist warm, er reicht gerade so, den Schweiß etwas zu trocknen. Ein Hund läuft ganz dicht an der Mauer entlang, sucht den nicht vorhandenen Schatten, er hechelt. Eine alte Frau kommt aus der Kirche, ganz in schwarz, sie schlurft über den Platz, die Hitze scheint sie nicht zu bemerken. Vor mir steht ein Glas Weißwein, der Wein war eiskalt, als er kam. Das Glas ist beschlagen, Kondenswasser läuft aussen herab, in kleinen Perlen, er schwitzt, denke ich. In der Bar dudelt Musik, schält sich plötzlich aus dem Geräuschebrei heraus, ich drehe langsam etwas den Kopf, versuche es zu verstehen. Es ist eine Verkehrsdurchsage. Auf Deutsch. Ich bin an meinem Schreibtisch. Zurück. Und so unglaublich müde.

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Mittagessen am Meer

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Tränen – Dienstag

Der Regen läuft langsam an der Scheibe herunter. Auf dem Schreibtisch stapelt sich Arbeit. Der Rotwein schwappt vom letzten Schluck träge im Glas. Am Rechner läuft Mango, „La Terra degli Aquiloni“ schleife. Meine Augen schauen aus dem Fenster, bleiben am Haus gegenüber kleben. Vermissen die Weite. Den Blick bis zum Horizont. Wo Himmel und Meer verschmelzen. Oder wenigstens den Blick in die weiten, aber sanften Hügel vom Zimmer meiner Kindheit aus. Gefangen, wie damals, in Ravenna, als ich nach wenigen Wochen aus der Stadt geflüchtet bin. Der Schleier, den die Tränen in den Augen machen, deckt sich mit den Schlieren der Regentropfen am Fenster. Der Wein hat sich beruhigt, einen Ölfilm am Glas hinterlassen, der langsam zurück ins Glas sinkt. Alles weint, geht mir durch den Kopf.

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Ich musste die Tage an eine Geschichte denken, die mir vor ein paar Jahren passiert ist. Ab und zu, wenn ich einen Auftrag übernehme, ziehe ich ein paar Tage in ein Haus, um ein Gefühl zu bekommen, was ich tun werde. So auch vor ein paar Jahren. Deutsche hatten das Haus etwas weiter entfernt von meinem Heimatort gekauft und waren über eine Empfehlung zu mir gekommen. Sie wollten viel ändern, und ich sollte einen Plan erstellen.

Ich kam am späten Vormittag dort an. Schon die Zufahrt war ein Abenteuer. Vom kleinen Ort bog ich auf eine Kiesstraße ab und kam irgendwann an eine Kreuzung, an der ein Hohlweg fast senkrecht den Hang hinunter ging. Selbst mit Geländeuntersetzung war der Wagen fast nicht zu bremsen und ich rumpelte über Schlaglöcher, umfuhr Felsbrocken und zerkratzte mir die Flanken des Jeeps mit seit Jahren nicht mehr zurückgeschnittenen Brombeerranken. Irgendwann lichtete sich der Weg und nach einem letzten steilen Stück stand ich vor dem Haus. Es war ein altes Herrenhaus. Ich umrundete es langsam und ließ es auf mich wirken. Die ehemalige Natursteinfassade war irgendwann verputzt worden, dann war der Putz wieder teilweise abgenommen worden, an manchen Stellen bröckelte er auch einfach ab. Die Dachpfannen waren in einem katastrophalen Zustand, viele davon schief, einige fehlten ganz. Die Fenster waren alt und nur einfach verglast, die Fensterläden ließen noch Reste von ehemals dunkler grüner Farbe erkennen, viele waren morsch.

Aber das waren nur kosmetische Probleme. Die Lage war der Hammer. Das Haus stand alleine auf einem Hügel, der Blick überwältigend in alle Richtungen, man konnte bis zum Meer sehen. Das gesamte Grundstück hatte ca. 80.000 Quadratmeter, das meiste davon zwar undurchdringliche Wildnis, aber es gehörte immerhin alles den Hausbesitzern. Ich ging nach drinnen. Auch hier war alles alt, verbraucht, lieblos. Das Haus war zwar bewohnbar, aber es gab keine Heizung, die Küche war völlig hinüber und die Bäder seit Jahrzehnten nicht renoviert. Die einzige Warmwasserquelle war ein Elektroboiler, der so verrostet war, dass ich niemandem empfohlen hätte, ihn nochmals anzuschalten. Im oberen Stockwerk hatten sich die Besitzer ein Zimmer schön hergerichtet, mit großem Landhausbett aus schwarzem Schmiedeeisen, frischen Farben an der Wand und sogar ein paar Bildern. Sie hatten mir erzählt, dass sie ein paar Mal hier Urlaub gemacht hatten, um zu überlegen, wie sie das Haus herrichten werden. Es gab viel zu viele Zimmer, man würde das alles öffnen müssen, neu aufteilen und vernünftig, aber behutsam, wieder herrichten.

Ich saß abends lange auf der Terrasse, sah in der Ferne die funkelnden Lichter der kleinen Orte, lauschte der Natur und versank in Gedanken, bis es spät und finster war. Im Haus bekam ich plötzlich ein beklemmendes Gefühl. Ich bin nicht ängstlich, aber logisch betrachtet war ich hier alleine und niemand würde hier irgendwas mitbekommen. Es gab keinen Handyempfang, Telefon sowieso nicht. Ich blickte auf die Fenster im Erdgeschoss, keines davon war vergittert. Also ging ich nochmals nach draußen, um die Fensterläden anzuklappen und schloss auch die Terrassentüren-Läden zu. Dann von drinnen alle Fensterläden verriegeln, eine Heidenarbeit, es gab alleine im Erdgeschoss ca. 16 Fenster. Gitter!, notierte ich in Gedanken zur Liste der nötigen Renovierungsarbeiten.

Auf dem Weg nach oben ins Schlafzimmer verdrängte ich den Gedanken, dass ich eigentlich mal in alle 12 Zimmer sehen müsste, ob da nicht irgendein ungebetener Gast war. Ich bin selbst in einem einsamen großen Landhaus aufgewachsen. Aber dort war man nie alleine. Es lebten mehrere Generationen von uns unter einem Dach, dazu noch einige unserer Arbeiter, die auch im riesigen Haus ihre Zimmer hatten. Dort war es nachts nie ganz still. Man hörte immer irgendjemanden, der sich im Bett hin und her warf, ein Quietschen hier, ein Schnarchen dort, eine Wasserspülung, oder ein verhaltenes Stöhnen, von Bewohnern, die sich gerade liebten.
Später dann, in meinem kleinen Haus am Meer, trug mich jede Nacht das Rauschen der Brandung in den Schlaf. Hier jedoch war: NICHTS! Es war absolut still, kein Auto zu hören, keine Geräusche, kein Knacken, einfach nur nichts. Und das machte mich fertig. Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr in so einer Situation ein euch unbekanntes Geräusch hört? Dann grübelt man, was es wohl ist, man geht alle Optionen durch, was das Geräusch verursacht haben könnte. Viel schlimmer ist es, wenn man absolut nichts hört, nicht das Geringste. Und dann liegt man da und denkt, egal was jetzt ist, du wirst es in dieser Stille hören. Und so lag ich da und hoffte, nicht plötzlich doch etwas zu hören und wurde fast verrückt dabei. Zum hundertsten Mal blickte ich auf mein Handy und verfluchte wieder die Anzeige „Kein Netz“.
Schließlich stand ich nochmal auf, ging nach unten, öffnete eine Flasche Wein und trank gierig das Glas leer. Dann öffnete ich eines der Fenster, stieß den Laden auf und zündete mir eine Zigarette an. Ich blies den Rauch immer ordentlich aus dem offenen Fenster, denn ich wusste nicht, ob die Besitzer Nichtraucher waren. Der lange Tag forderte schließlich seinen Tribut und ich wurde plötzlich unglaublich müde. Das wollte ich ausnutzen, ich schleppte mich zurück ins Bett und schlief tatsächlich ein.

Ich träumte unruhig, von Menschen, die versuchten, die Eingangstüre mit Äxten einzuschlagen und irgendwann schoss ich senkrecht hoch, denn die Schläge waren nicht geträumt, das Hämmern war echt! Im nächsten Moment tauchte ein Blitz das Zimmer kurz in gleissendes Licht, in der nächsten Sekunde folgte ohrenbetäubender Donner. Ein Gewitter. Ich sank erleichtert zurück. Ich knipste das Licht an, um zu sehen, wie spät es war, aber es ging nicht, der Strom war weg. Aber das war egal, das Gewitter war so laut, es übertönte alles und so rollte ich mich unter der Decke zusammen und schlief wie ein Baby.

Als ich am Morgen wieder nach unten in die Küche ging, blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich konnte nicht glauben, was ich da sah. Nach der ganzen Panik, die ich hatte, nach all der Mühe, alle Läden zu schließen, war ich fassungslos. Das Fenster, das ich zum Rauchen geöffnet hatte, ich hatte es vergessen. Es stand sperrangelweit offen.

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… ich stolperte in das Büro und muss grässlich ausgesehen haben, denn die Frau hinter dem Schreibtisch am Eingang musterte mich mit hoch gezogenen Augenbrauen. Tätowierten hoch gezogenen Augenbrauen, wie ich feststellte. Es musste die sein, mit der ich gestern telefoniert hatte, denn genau so hatte ich sie mir vorgestellt. Die Haare etwas zu blond, die Schminke etwas zu dick, der Rock etwas zu kurz, die Absätze etwas zu hoch. Genau die Art Frau, die angeblich jeder schrecklich findet. Genau die Art Frau, die dir aber den Mann wegnimmt, wenn Du nicht aufpasst. Vielleicht sollte ich sie mal mit Stefano bekannt machen. All das ging mir in den wenigen Sekunden durch den Kopf, typisch für mich, meine Gedanken können jederzeit so wirr abschweifen, dass ich manchmal selber lachen muss.
„Vorstellungstermin, ähm, ich hab den Termin“, presste ich mühsam raus.
„Si“. Wieder dieses langgezogene Siiiiii. Ihr Blick sprach Bände. Kurzes Nicken, vage in Richtung einer halb offenen Tür. „Sie können da drin warten.“
Es war ein schöner Raum, sehr hoch, mindestens vier Meter, ein alter großer Schreibtisch aus dunklem Holz, der Boden gefliest mit Terrakotta, schöne, handgeschlagene Fliesen, keine Industrieware. Ein altes Gemälde, das die Toskana zeigte, erkennbar an den Zypressen, die es hier auf dieser Seite Italiens nicht so häufig gibt. Auf der Arbeitsplatte alles fein sortiert, keine Unordnung. Am Boden der typische Heizlüfter, der im Winter in jedem italienischem Büro steht, weil unsere Heizungen aufgrund eines völlig veralteten Gesetzes immer viel zu schwach ausgelegt sind. Mein Puls ging langsam runter und ich sehnte mich nach einer Zigarette. Auf dem Schreibtisch stand ein Aschenbecher, benutzt, wie ich feststellte. Rauchen ist in Italien auch in Büros verboten, völlig egal, wie groß das Unternehmen ist. Theoretisch darf selbst ein Einmannbetrieb nicht an seinem Schreibtisch rauchen, selbst wenn er sonst niemanden beschäftigt. Aber Theorie und Praxis liegen bei uns zum Glück oft weit auseinander.
Die Tür wurde aufgerissen, ein Mann hastete rein, setzte an, etwas zu sagen, erstarrte, blieb bewegungslos stehen, als hätte jemand die Pausentaste gedrückt. Ich war halb aufgestanden, starrte zurück, und so blickten wir uns eine ganze Weile einfach nur völlig dämlich an. Mein Herz hämmerte so sehr, dass ich jeden Schlag dröhnend in meinen Ohren wahrnahm und irgendwann ließ ich mich einfach kraftlos zurück auf den Stuhl sinken. Er war blass geworden, schloss dann sehr langsam die Türe, schob sie sorgfältig zu, versuchte Zeit zu gewinnen. Dann drehte er sich ganz zu mir um, blickte abwechselnd auf die Bewerbungsmappe in seiner Hand und auf mich und versuchte den Zusammenhang zu begreifen.
„Ciao Dieter.“
„Chiara…“ Kaum mehr als ein Flüstern
„Ich..“ mein Hals war so trocken, ich musste nochmals ansetzen, „Ich wußte nicht..“
Er hob die Hand, ließ sich schwer in seinen Stuhl fallen. Sah mich an.
„Ich wußte nicht, dass die Anzeige von Dir war.“
„Wärst du sonst nicht gekommen?“ es klang verletzend. Und so war es wohl auch gedacht.
„Dieter, ich… es tut mir leid.“ Ich stand auf, wollte gehen, raus, weg, irgendwas.
„Chiara, warte.“
Und dann: „Bitte.“
Da war es wieder. Dieser Zauber in seiner Stimme. Dieser Zauber, der mich auch im Sommer schon gefangen hatte, der mich so anrührte, etwas in mir weckte, von dem ich selbst nicht verstand, was es eigentlich war.
Ich sah ihn an, lange, wie damals. Und wie damals entschied ich mich gegen alle Vernunft und setze mich wieder hin.
„Ich kann nicht für dich arbeiten, Dieter, das geht nicht.“
Er sah mich wieder lange an, dann kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück.
„Hast Du Zeit, ich möchte Dir was zeigen?“

Wir nahmen seinen Wagen und fuhren schweigend über die kleinen Landstraßen. Wir wussten wohl beide, dass jetzt nicht die richtige Zeit war, um über den Abend am Leuchtturm zu sprechen. Er sah konzentriert auf die Straße und ich ließ meinen Blick über die Landschaft schweifen. Die Marken werden auch „die grüne Toskana“ genannt. Die Vegetation ist so üppig, dass selbst jetzt im Winter alles noch grün ist. Bis auf die weiten Felder natürlich, die ab August, wenn es zu heiß wird, abgeerntet sind. Um sich hier zurechtzufinden, muss man das System der Straßen kapieren. Es reiht sich Hügelkette an Hügelkette, in den Tälern sind die großen Straßen, auf denen man ewig unterwegs ist. Einheimische kreuzen die Hügel auf kleinen holprigen Straßen, die mehr aus Schlaglöchern denn aus Teer bestehen. Auf solchen Straßen waren wir unterwegs und schraubten uns immer weiter in die Hügel hinauf. Wir erreichten Castelplanio, ein kleines Dorf, wie alle Orte hier mit historischer Altstadt und Häusern, die so aussehen, als sei die Zeit vor 200 Jahren stehen geblieben. Kurz nach dem Ort bog er rechts ab, in einen Feldweg, der fast senkrecht nach oben zu führen schien. Der schwere Geländewagen schaukelte und sprang langsam über den Rest Straße, der hier kaum noch zu erkennen war. Eine Kurve noch, dann öffnete sich das Gelände plötzlich zu einem Plateau und wir standen vor einem kleinen Borgo. Ein Borgo ist eine Ansammlung Häuser, zu wenige, um sich schon Dorf zu nennen.
Ich stand beeindruckt vor dieser Ansammlung Ruinen. Es waren sechs oder sieben Häuser, ein paar Nebengebäude. Manche sahen noch ganz gut aus, das heißt, sie hatten noch Fensterhöhlen und ein paar morsche Balken, wo einmal das Dach gewesen war. Andere waren nur mehr ein paar Grundmauern, eingewachsen über die Jahre. Der Platz war traumhaft schön, wir waren so weit oben, dass man rundum in die Landschaft sehen konnte. Nach Osten bis an die Küste, das Meer bildete einen zweiten Horizont, sah aus dieser Entfernung ganz ruhig aus. Nach Westen konnte man tief in die Hügel und ganz am Ende bis zu den schroffen Ausläufern des Apennin sehen. Tief unter uns lag Castelplanio, der letzte Ort, durch den wir gefahren waren.
„Dafür habe ich das Inserat aufgegeben.“ Dieter. Ich schrak zusammen, hatte ihn für einen Moment ganz vergessen, so sehr war ich in die Magie dieses Ortes eingetaucht gewesen.
Er räusperte sich, sah mich wieder lange an.
„Wir haben das hier gekauft.“ Pause.
„Und, wenn Du möchtest, darfst Du es restaurieren.“…

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… die Luft war kalt und roch nach Salz und Fisch und bis ich in der Bar ankam, war ich wieder durchgefroren. Paolo begrüßte mich mit einem breiten Lächeln und stellte unaufgefordert die Espressotasse unter die Maschine. Mein übliches Frühstück besteht immer aus einem Brioche (ein Hörnchen) und einem caffè; so wie bei fast allen Italienern. Ich schnappte mir die Zeitung und setze mich an meinen üblichen Platz.

In der Nische neben mir saß ein älteres Paar, Engländer, wie ich schnell hörte. Die kamen oft ausserhalb der Saison, weil ihnen das Wetter scheinbar egal war. An zwei anderen Tischen saßen ein paar alte Männer, die in ihr Kartenspiel vertieft waren und ab und zu zur Uhr schielten, um zu sehen, ob es schon spät genug war, endlich das erste Glas Wein zu bestellen. Der Fernseher an der Decke lief, wie meist von niemandem beachtet, vor sich hin und am Tresen standen einige Männer in Anzügen, die vor dem Büro noch einen caffè tranken und fast alle in ihre Handys starrten. Am Nebentisch kämpfte das Engländerpaar mittlerweile mit Carla, um eine Bestellung aufzugeben. Wie immer verstand Carla nichts von den paar Brocken Italienisch der ausländischen Gäste, und die Gäste konnten mit ihrem venezianischen Dialekt noch weniger anfangen. Ich grinste amüsiert vor mich hin und schaute dann wieder aus dem Fenster. Die Bar liegt genau gegenüber vom Strand und wie immer gab mir das triste Aussehen einen Stich, und ich sehnte mich nach dem Sommer, wenn ich morgens schon mit leichten Sachen draussen sitzen konnte. Ganz vorne, das erste Bagno, ist das von Mario, dort hatte ich den Deutschen kennengelernt, als ich ihn am Strand fast umgerannt hatte.

Ich winkte Paolo, dass er mir noch einen weiteren caffè machen sollte. Ich hatte es nicht eilig, ins Büro zu kommen. Es gab wenig zu tun im Moment. Die Idee, dass wir alte Häuser verkaufen, hatte ganz gut funktioniert. Die Idee, dass ich diese Ruinen als geometra dann umplane und die Restaurierung begleite, hatte auch gut funktioniert. Paolo, der andere Paolo, der Freund meines Vaters, der diese Idee hatte, hat nicht ganz so gut funktioniert. Wir hatten nämlich fast nur die Häuser verkauft, die uns gehörten. Was nicht schlecht war, denn wir hatten gedacht, die sind nichts mehr wert. Aber wir besaßen nicht endlos viele davon. Und Paolo hatte versprochen, neue Häuser zu suchen. Und er hatte uns von guten Kontakten erzählt, in Deutschland, von Agenturen, die die Käufer schicken würden. Leider machte er sich nie die Mühe, Häuser zu suchen und die Kontakte in Deutschland waren auch eher nicht ganz so gut. So setzte sich unser kleines Angebot fast nur aus dem zusammen, was mein Vater über Freunde oder Bekannte angeboten bekam. Mir gefiel das alles nicht besonders, denn entweder hatte ich richtig gut zu tun, oder ich konnte gleich wieder nach Hause gehen und auf unserem Hof mitarbeiten. Nur um Zeit totzuschlagen muss ich mich nicht in ein Büro setzen. Ich blätterte mit diesen trüben Gedanken gelangweilt die Zeitung durch, der Wetterbericht war unerfreulich, die politischen Nachrichten las ich eh nie, und als ich die Zeitung gerade angewidert wegschieben wollte, fiel mein Blick auf eine Anzeige. Geometra/ Architekt gesucht, stand da. Erfahrung in Restauration erforderlich, Englisch Bedingung, Deutsch von Vorteil. Hm, ich kannte die Firma nicht, es war keine Adresse dabei, aber die Vorwahl war aus der Nähe von Ancona.

Paolo stand plötzlich mit der frischen Tasse vor mir und ich zuckte zusammen. Er grinste, tat so als hätte er nicht genau gesehen, was ich da gerade las und ging pfeifend zurück zu seiner Bar. Ancona, in den Marken, einem „Bundesland“ südlich der Emilia Romagna. Ich kannte die Gegend gut, hatte einige Freunde dort.

Als ich auf der Straße stand, peitschte mir der Regen ins Gesicht und als ich zurück in die Bar schaute, sah ich die Zeitung immer noch an meinem Platz liegen und sie schien plötzlich riesengroß, wie ein Plakat und mir ging plötzlich der Gedanke durch den Kopf, wie viele ausgebildete Architekten mit Erfahrung in Restaurierung und mit Deutschkenntnissen es hier in der Gegend wohl geben wird. Vermutlich keine drei. Und ein bisschen Abstand zu Stefano würde mir auch gefallen, und so stiess ich die Tür erneut auf, nahm mir Zeitung vom Tisch, ignorierte den grinsenden Paolo und duckte mich dann unter dem Regen, um ins Büro zu kommen.

Im Büro war nichts los und so ging ich nach ein paar Minuten wieder nach Hause zurück. Den ganzen Nachmittag lag die Zeitung auf dem Tisch und ich versuchte, sie zu übersehen. Gegen 15.00 Uhr fiel mir endgültig die Decke auf den Kopf und ich ging zum Strand. Es war den ganzen Tag nicht richtig hell geworden, die Wolken standen bedrohlich dunkel ganz dicht über dem Meer, die Wellen peitschten wütend über die Felsen. Der Strand war übersät mit Treibholz, toten Fischen und Abfall, den die Schiffe weit draußen einfach über Bord kippten. Der Sturm trieb mir Tränen in die Augen und ich torkelte mehr als ich lief. Wie immer kam ich irgendwann am Leuchtturm an. Er ist schon lange nicht mehr in Betrieb, seine Mauern sind vom Salz zerfressen und mit Algen bewachsen. Aber er steht immer da, er trotzt jedem Sturm und er gibt mir dieses beruhigende Gefühl von Sicherheit. Wenn ich meine Hände auf seine alten starken Mauern lege, erzähle ich ihm oft, was mich beschäftigt oder bedrückt; er kennt alle meine Geheimnisse, Wünsche, Sorgen, und er hat schon viele Tränen von mir aufgefangen. Hier hatte ich auch den Deutschen das letzte Mal gesehen, als ich ihn zurückgestoßen hatte. Und kurz kommt wieder dieses Gefühl von damals in mir hoch, diese Mischung aus Verzweiflung, Trauer und Wut.

Als ich auf dem Rückweg bin, weiß ich, dass ich noch heute die Nummer in der Anzeige anrufen werde…

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