…Dieter wartete zuhause auf mich, kaum dass ich die Türe öffnete, stand er im Flur. Ich sah vermutlich wie ausgespuckt aus, denn er sah mich seltsam an, während ich so was wie ein Lächeln versuchte. Er hatte mir angeboten, mitzufahren, das Gespräch zusammen zu führen, sich meinen Eltern vorzustellen. Ich war froh, dass ich das abgelehnt hatte. Mein Vater wäre vermutlich noch mehr ausgerastet, als er es ohnehin schon getan hatte und bei dem Gedanken musste ich plötzlich lachen. Dieter sah mich noch eine Spur seltsamer an und ich konnte plötzlich nicht mehr aufhören. Ich lachte so sehr, dass ich Schluckauf bekam und mir die Augen tränten und irgendwann fiel er mit ein und da standen wir in der winzigen Diele und lachten uns kaputt. Irgendwann wischte ich mir die Tränen aus den Augen und sah liebevoll in sein vom Lachen noch ganz rotes Gesicht. So also fühlte es sich an, endlich frei zu sein.
Der Sommer begann langsam und ich hatte nur ein Ziel, ich wollte Weihnachten in unserem neuen Haus sein. Das war fast unmöglich, aber ich wollte es unbedingt. Das Haus zu kaufen war schnell abgewickelt. Ich räumte alles an Geld leer, was ich die letzten Jahre zusammengespart hatte und schaffte es tatsächlich, meinen Anteil aufzubringen.
Das größte Problem war die Baugenehmigung, die alleine schon leicht ein halbes Jahr dauert – wenn man Glück hat. Diese alten Häuser sind fast immer gleich aufgebaut, unten waren früher die Ställe, oben wurde gewohnt. Man benötigt eine Umwidmung für Wohnzwecke und eine Genehmigung für die Restaurierung. Dieter bremste mich daher ein, aber ich wusste schon, wie ich das lösen konnte.
Ich zeichnete und plante fast drei Tage am Stück, ich aß nichts, ich füllte nur einen caffè nach dem anderen in mich rein und als ich alle Unterlagen zusammen hatte fuhr ich zur Gemeindeverwaltung. Ich sah furchtbar aus. Drei Tage fast ohne Schlaf, die Haare wirr, blass, Augenringe, schwach auf den Beinen vor Hunger. Aber all das gehörte mit zu meinem Plan.
Die Verwaltung war im municipio, dem Rathaus, das wie in jedem kleinen Ort auf der Piazza steht. Ein altes, ehrwürdiges Gebäude, mit Flaggen, großem Holzportal, Stuck und einem Beamten vor dem Eingang. Ich setzte mehrmals an, hinein zu gehen und drehte im letzten Moment immer wieder um, weil mein Herz vor Aufregung plötzlich pochte.
Als ich schließlich in das Büro des zuständigen Sachbearbeiters mehr wankte als ging, muss es so ausgesehen haben, als würde ich gleich unter meiner Planungsmappe zusammenbrechen. Guiseppe sah mich erschrocken an, klappte den Mund auf, wieder zu. Setzte nochmals neu an.
„Chiara, geht’s dir gut?“ fragte er schließlich.
Ich stöhnte nur und ließ mich schwer auf den Besucherstuhl sinken.
„Möchtest du ein Glas Wasser?“
Ich hob nur die Hand, betrachtete sie erstaunt und ließ sie wieder sinken.
„Chiara, soll ich einen…“
„Nein, Guiseppe, nein, mir geht’s toll, echt.“ Ich flüsterte es mehr, als dass ich sprach.
Er wurde richtig unruhig. Und ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht los zu lachen.
„Guiseppe, ich bin erledigt!“, diesmal schrie ich fast.
„Was ist passiert?“ Volle Aufmerksamkeit jetzt bei ihm.
„Ich habe Mist gebaut. Am Borgo. Ich bin erledigt.“ Ich ließ meine Unterlippe zittern.
„Warum, was ist passiert, nun sag doch!“
„Ich habe…“, hier ließ ich meine Stimme kurz abbrechen, „ich habe ein ganzes Haus vergessen, bei der Genehmigung. Verstehst Du? Einfach vergessen. Die werfen mich raus!“, wieder zitternde Unterlippe.
„Du hast ein Haus vergessen, am Borgo?“
„Ja, ein ganzes Gebäude. Ich habe es nicht mit eingereicht, jetzt fehlt die Genehmigung und ich bin am Arsch“, eine Träne kullerte langsam aus meinem Auge.
Er sah mich verständnislos an. „Wenn Du es nur vergessen hast, mit beizulegen, dann können wir es in die bestehende Genehmigung einfügen. Das ist doch kein Problem.“
„Das, das würde noch gehen?“, stotterte ich.
„Ja, klar. Kein Problem. Hast Du die Pläne dabei?“
Klar hatte ich die Pläne dabei. Es war ja auch gar nicht mal so sehr geschwindelt. Bis auf die Kleinigkeit, dass es sich um unser Haus handelte, dass natürlich nicht zum Borgo gehörte. Aber, nun ja, meine Planung ansich entsprach allen Vorschriften und wäre eh so genehmigt worden. Irgendwann. In einem halben Jahr, vielleicht, oder so.
Guiseppe holte die Mappe vom Borgo, stempelte mir alles ab, unterschrieb alle Formulare, heftete die Pläne dazu, gab mir meinen Satz und ich hatte die Baugenehmigung für unser Haus in der Tasche.
Zurück auf der Piazza ging ich noch ein wenig verhalten, bis ich außer Sichtweite war, dann ließ ich einen Jubelschrei los, der einige der Alten, die wie immer auf ihren weißen Plastikstühlen das Geschehen beobachteten, zusammenzucken ließ und kaufte mir in der nächsten Bar erst einmal ein Frühstück…
iL Tedesco – Der Deutsche ist soeben als Buch erschienen:
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