Tag 7 Abend und Tag 8
Gestern Abend haben mich meine Freunde zu einem Abschiedsessen in eine Pizzeria ausserhalb der Stadt eingeladen. Die italienische Küche wird ja oft auf Pizza reduziert, aber eine wirklich gute Pizza ist ein Kunstwerk. Natürlich taugt sie auch nur etwas, wenn sie aus dem Steinofen kommt, mit echtem Feuer. Nicht aus einem Schamottofen, oder gar aus dem Backofen, nein, es muss ein Feuer im Ofen gebrannt haben. Das ist auch der Grund, warum so viele Touristen mittags fassungslos in einer Pizzeria stehen, und nicht begreifen, dass es gar keine Pizza gibt. Warum? Weil der Ofen erst für das Abendgeschäft angeheizt wird, zweimal am Tag ist zu aufwändig. Anders als in Deutschland trinken wir zur Pizza auch prinzipiell keinen Rotwein, sondern Bier. Ein seltenes Vergnügen, kostet Bier bei uns doch ein Vermögen. Größere Gruppen lassen sich das Bier übrigens im Literkrug bringen und verteilen es dann wie Wein in die Gläser. Für Deutsche eine Unsitte, aber wir haben diese Trinkgewohnheit vom Wein übernommen.
Übrigens, wenn ihr in Italien Essen seid, ignoriert ruhig die Weinkarte. Jedes Restaurant bietet auch offene Weine an, bestellt einfach un quarto (ein Viertel) oder un mezzo (einen halben Liter) rosso (rot) oder bianco (weiß). Bei Weißwein unterscheidet man den „stillen“ Wein, fermo, oder den prickendeln, frizzante. Diese offenen Weine kosten den Bruchteil einer Flasche und sind in der Regel direkt vom Bauern um die Ecke.
Als ich wieder zu Hause war, hat es angefangen zu regnen und die ganze Nacht geschüttet, als Bauerntochter freut mich sowas, die Pflanzen brauchen das Wasser dringend. Und wieder mußte ich an München denken, an die Nächte, in denen ich dem Rauschen des Regens gelauscht habe, und mir dabei vorgestellt habe, es sei das Meer.
Der heutige Tag gehörte ganz mir. Ich habe auf das Frühstück bei Mario verzichtet und bin die Küste in Richtung Norden hoch gefahren. In Casal Borsetti habe ich dann am Strand gefrühstückt und bin die kleinen Orte an der Küste entlang gefahren. Nach Casal Borsetti kommt lange Zeit kein Ort, hier beginnt das Po-Delta und die Landschaft ist so gar nicht typisch italienisch, es ist durch die Flußadern so feucht hier, dass die Vegetation fast einem Dschungel gleicht, Hier gibt es sogar ganze Laubwälder, die bei uns im südlicheren Italien eher selten sind, weil es zu trocken ist. An einem schönen Strand habe ich dann einige Stunden mit Baden und faul in der Sonne liegen verbracht – und mit sehr viel Nachdenken.
Mittags habe ich ein kleines Restaurant am Strand gefunden. Ich war zuerst ganz alleine im Lokal und habe mir nach einer Portion Spaghetti mit Venusmuscheln noch Tintenfisch und Garnelen am Spieß vom Grill bestellt. Dann kam ein deutsches Paar und setzte sich an den Nebentisch. Sie haben versucht, irgendetwas zu bestellen, aber der Kellner konnte kein Wort deutsch und das Paar kein Wort italienisch, und als er immer wieder sagte, er wolle Spaghetti mit Fleischsouce bin ich ganz hippelig geworden. Ich habe mir schon vor Jahren abgewöhnt, mich bei so etwas einzumischen, zu lange muss ich danach immer Fragen beantworten, warum ich beide Sprachen akzentfrei spreche, wo ich lebe usw., aber irgendwie haben mich die beiden gerührt, im letzten kleinen Kaff, ausserhalb der Saison, völlig fertig von der Hitze und hungrig. Also hab ich sie gefragt was sie möchten und sie überzeugt, dass es Spaghetti Bolognese nicht wert sind, als Hauptgericht gegessen zu werden und den beiden wohl das Menü ihres Lebens bestellt. Ich hoffe, sie haben inzwischen alles verdaut und können sich wieder rühren.
Der letzte aperitivo für einige Zeit bei Paolo war heute nicht so entspannt wie sonst, zu sehr hat mich das bevorstehende Gespräch mit meinem Vater beschäftigt, mit meiner Zukunft und mit meiner morgigen Abreise.
Ich bin noch zu aufgewühlt von diesem Gespräch und zu aufgeregt wegen der morgigen Abreise, darum kann ich darüber noch nicht schreiben. Ich bin danach zurück in mein Haus am Meer gefahren, ich möchte morgen früh nochmal an den Strand, bevor ich fahre, mich von meiner großen Liebe verabschieden, von meinem Land und vom Meer.
… Und von den geliebten Menschen.
Ich bedauere sehr, dass Du bisher keine Menschen in Deutschland gefunden hast, die Dir ein wenig heimatliche/ freundschaftliche Geborgenheit geben konnten.
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