…Zuhause wählte ich ohne lange zu überlegen die Nummer in der Anzeige, wie immer kam mit dem Freizeichen der Adrenalinstoß und mein Herz pochte, tief Luft holen, dann wurde abgenommen.
„Pronto.“ Typisch gelangweilter Ton einer italienischen Sekretärin, der mit einem Wort ausdrückte „Du störst!“ (wobei auch immer).
„Chiara Ravenna“ flötete ich in den Hörer. „Ich rufe auf die Anzeige an.“
„Si.“ Sie sagte es langgezogen, ungefähr Siiiiiiiii.
„Ich rufe auf Ihre Anzeige an.“ flötete ich weiter.
„Si.“ Wieder langgezogen. Ich merkte, wie ich wütend wurde
„Sie suchen eine Architektin.“
„Si.“ Noch langgezogener. Ich stellte mir meine Finger vor, um ihren Hals gelegt.
„Nun, deswegen rufe ich an, um mich zu erkundigen.“
„Si.“ Noch langgezogener. In Gedanken schlossen sich meine Finger fest um ihren Hals.
„Nun, äh, ja, ist die Stelle noch frei?“ Sie verunsicherte mich; und ich hasste sie dafür.
„Einen Moment.“ Ok, sie konnte also mehr als zwei Worte. Eine Warteschleifenmelodie ertönte. Eine Minute, zwei Minuten, ich versuchte an meine Zigaretten zu kommen, dann, endlich:
„Pronto?“ wieder die gleiche Tussi.
„Wer ist für die Stellenausschreibung zuständig?“ keifte ich ins Telefon.
„Einen Moment.“ Wieder Warteschleife.
Wie ich schließlich doch irgendwann zu einem Termin kam, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich kurz davor stand, einen Nervenzusammenbruch zu erleiden oder Amok zu laufen, aber, zu guter Letzt, ich sollte am nächsten Tag kommen.
Ich trank Wein an diesem Abend, Rotwein, unseren eigenen, und saß trotz der Kälte lange draußen, schaute in den Himmel, der Sturm hatte alle Wolken weggefegt, die Sterne glitzerten, der Himmel war wie aufpoliert. Gegen 23.00 Uhr summte mein Handy, es war Stefano, aber ich ging nicht ran, ich hatte keine Lust mit ihm zu sprechen. Und obwohl ich wusste, dass es wieder Streit geben würde, ignorierte ich auch die weiteren Anrufe, die bis 2 Uhr morgens bei mir eingingen.
Für die Fahrt in die Marken nahm ich den smart, ich wollte nicht protzig erscheinen. Die Marken sind wohl das Bundesland in Italien, das für die meiste Verwirrung bei Ausländern sorgt. Im Italienischen heißt es „Le Marche“, viele denken, das wäre Französisch und sprechen es „Lee Marschee“ aus, aber der Artikel ist Le (nicht les), und man spricht es „le marke“, zu Deutsch die Marken. Das einzige Bundesland, das in der Mehrzahl genannt wird. Es stammt vom Begriff Grenzmarken ab. War irgendwann einmal von einem Deutschen Kaiser besetzt, der irgendwo aus Franken stammte. Ich war verblüfft, in Deutschland zu sehen, dass die Haßberge in Franken landschaftlich den Marken sehr ähnlich sind. Klimatisch allerdings nicht.
Die Emilia Romagna ist meine Heimat, die ich liebe. Die Marken sind so etwas wie ein Liebhaber, eine geheime Liebe von mir, die ich gerne treffe, aber nicht viel darüber rede. Die Landschaft ist geprägt von Hügeln, die direkt am Meer beginnen. Anders als in der Emilia gibt es hier keine Ebenen, dafür wurde weniger gebaut, es gibt noch unzählige alte Häuser, ehemalige Gehöfte, die versteckt in dieser bezaubernden Landschaft liegen. Hier Häuser zu restaurieren, wäre ein Traum, eine Herausforderung, die ich nur zu gerne annehmen wollte.
Ich fuhr eine knappe Stunde auf der Autobahn und bog kurz vor Ancona ab in Richtung Hinterland. Ich fand die Adresse schon beim zweiten Anlauf. Die Agentur war in einem kleinen Ort, in Montecarotto, direkt an der Piazza. Ich war zu früh dran und daher fuhr ich ein paar Meter weiter. Schräg gegenüber der Firma war eine Bar und ich hatte so noch Zeit für einen caffè.
Es war ein sonniger Tag, die Wolken waren nicht zurück gekommen. Auf der Piazza waren ein paar kleine Geschäfte, ein paar Alte saßen auf einer Bank, ein Hund trottete gemütlich auf der Straße. Die Mauern waren frisch restauriert, vermutlich aus dem Erdbebenfond, unabhängig davon, ob ein Beben hier Schäden angerichtet hatte. Wobei die Seebeben, die häufig vor Ancona sind, ganz schön Schaden anrichten können. Ich betrat die Bar, es war dunkel darin, kaum Leute. Ich hatte die Türe noch in der Hand, als ich den Mann an der Bar sah. Er fiel mir auf, weil er groß war, sein blaues Hemd leuchtete in der tristen Umgebung. Er stand mit dem Rücken zu mir, aber ich konnte sein Gesicht im Regal hinter der Bar erkennen, die Flaschen standen in Nischen mit verspiegelter Rückwand. Es war der Deutsche! Der Adrenalinstoß brachte mich fast um. Noch hatte er mich nicht entdeckt und ich torkelte rückwärts wieder raus auf die Straße. Mir war schwindlig und ich lehnte mich um die Hausecke an die Wand. Meine Gedanken rasten, ich war fassungslos. Was machte er hier? Im Winter. In diesem Kaff. Er hatte erzählt, dass er oft in Italien war. Aber hier? Ich zündete mir mit zitternden Fingern eine Zigarette an und ging meine Optionen durch. In die Bar gehen, locker Hallo sagen. Im Erdboden versinken. Mich im Meer ertränken. Eine Ohnmacht vortäuschen und die Ambulanz rufen. Flucht. Flucht schien mir die beste Option. Ich spähte um die Ecke, ging dann schnell in Richtung meines Wagens. Da ging die Türe auf, ein blauer Hemdsärmel kam zum Vorschein. Er hatte das Gesicht nach innen gerichtet, vermutlich rief er noch einen Gruß zurück in die Bar. Und die einzige Möglichkeit zu verschwinden, bestand für mich darin, die Agentur zu betreten…
iL Tedesco – Der Deutsche ist soeben als Buch erschienen:
-> Taschenbuch
-> ebook
Toll, ich bin begeistert! Und gespannt wie es weiter geht…
Eine Frage: Sind hier bewusst keine bzw. wenige Bilder/Fotos im Blog? Ich stelle mir aufgrund der Beiträge immer was vor (die Landschaft, die Häuser, das Meer, die Bar, etc.), weiß aber nie, ob ich richtig liege. Bilder wären toll!
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Lieben Dank für Deine schöne Rückmeldung. Ich habe Bilder eigentlich ganz bewusst weggelassen, damit jeder seine eigene Vorstellung schaffen kann. Aber ich werde die Idee gerne aufgreifen und auch einmal Fotos bringen.
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Toller Post, ich komme jetzt regelmaessig
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