Es war November und der Morgen kämpfte sich mühsam durch die tiefhängende Wolkendecke. Die letzten Tage hatte es viel geregnet, und die Sonne, die sich durch die ersten zerfetzten Wolkenlöcher stahl, brachte die feuchten Felder zum Dampfen und tauchte die Erde in ein Meer aus Nebelschwaden. Ich war eine Weile nicht hier gewesen und konnte mich nicht von diesem Anblick lösen. Ich sehe von meinem Schlafzimmer aus in die sanften Hügel die sich am Horizont dann zu den gewaltigen grauen Felsen des Apennin auftürmen. Ich rauchte, wie immer Zuhause, heimlich und in meine Gedanken mischte sich plötzlich das klägliche Schreien eines Lamms. Ich versuchte, die Herde irgendwo zu sehen, aber in den Nebelschwaden der Wiesen war nichts zu erkennen. Ein zweites Lamm fing an herzzerreissend zu schreien und meine Augen tränten fast von der Anstrengung, irgendwo etwas zu sehen. Es dauerte einen Moment, bis mir auffiel, dass ich nur ein paar Lämmer hörte. Eine Schafherde macht richtig krach, aber nein, es waren nur Lämmer zu hören.
Das Haus war leer, ich war alleine und schnappte mir ein paar Stiefel um die Ausreisser zu suchen. Ich lief bestimmt zwei Stunden kreuz und quer in immer größeren Kreisen um unseren Hof. Immer wieder hörte ich ein Lamm, kämpfte mich dann über glitschigen Rasen und durch völlig aufgeweichte Felder – aber ich fand keines. Immer wenn ich sicher war, eine Stelle erreicht zu haben, wo ich etwas gehört hatte, war da…nichts.
Irgendwann erreichte ich die Straße, die zum Dorf führt. Die Sonne war inzwischen ganz durch gekommen, es war schwül, ich hatte Durst, war völlig verdreckt und guckte weiter in alle Richtungen.
Eine alte Frau kam mir entgegengeschlurft. Ich nenne solche Alten aus dem Dorf immer „Tütenläufer“. Man sieht sie überall. Fragt sich oft, wo verdammt sind die jetzt hergekommen, und vor allem, wohin wollen die noch laufen. Und immer haben sie Tüten dabei. Für Schnecken, für Kräuter, für was auch immer sie auf ihren langen Spaziergängen unterwegs finden.
„Buon dí“ begrüsste ich sie.
Sie blickte auf. Ihr Gesicht war vom langen Sommer dunkelbraun gebrannt, die Haut fest und runzelig wie Leder.
„Chiara, ciao.“ ein Lächeln huschte kurz über ihr Gesicht. Sie kannte mich. Klar, die meisten Alten hier wussten, wer ich war, auch wenn ich nicht jeden Einzeln genau zuordnen kann.
„Ich suche ein Lamm.“ sagte ich
„Hier?“ erstaunter Blick
„Ja. Ich habe Lämmer schreien gehört.“
„Die letzte Herde die hier war, das war die von Pepe.“ sie überlegte, “aber das ist gute sechs Wochen her“.
Ein Lamm kann nicht sechs Wochen alleine überleben, das ist unmöglich. Aber wo sollen Lämmer herkommen. Ich verstand das nicht.
„Und wo ist Pepe dann mit seiner Herde hin?“ fragte ich sie.
Sie sah mir jetzt direkt in die Augen. Etwas unheimlich.
„WANN hast Du die Lämmer schreien gehört?“ sie betonte diese „WANN“ wie einen Schuss.
„Heute morgen, gegen zehn Uhr“ sagte ich leise.
Sie wurde blass unter ihrer gegerbten Haut.
„Dio mio!“ stieß sie hervor. Machte die Corna* und bekreuzigte sich.
„Du weißt es noch nicht, oder“ fragte sie mich schließlich.
„WAS?“ jetzt war ich es, die das Wort wie einen Schuss klingen ließ.
„Pepe ist heute morgen gegen zehn Uhr gestorben.“
(*Anm. Corna oder Mano Cornuta, abergläubische Geste zur Abwehr von Bösem)
Guten Abend,
der Post und der gesamte Blog gefallen mir sehr gut! Ich wünsche alles erdenklich Gute für das Blogprojekt und alles, was so zu tun is!
Liebe Grüße
Christiane
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Herzlichen Dank ❤
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