…ein paar Tage später fuhr ich zu meinem Elternhaus. Das Gespräch mit meinen Eltern stand an. Der Tag hatte schon ziemlich schlecht angefangen. Nach wirren Träumen blickte ich eine vom Regen verhangene Landschaft. Die Heiztherme war kaputt, so dass ich kalt duschen musste und beim Kochen meines morgendlichen caffè verbrannte ich mir am Herd die Finger. Dieter schlich möglichst unauffällig um mich herum, er kannte mich inzwischen und wusste, dass ich jede Kleinigkeit nutzen würde, um meiner schlechten Laune Luft zu verschaffen. Ich zögerte die Abfahrt so lange wie möglich raus, aber schließlich gab es nichts mehr, womit ich noch hätte trödeln können.
Mir war klar, dass meine Eltern nicht begeistert waren, dass ich einfach verschwunden war, mich von Stefano getrennt hatte und nun irgendwo lebte. Aber ich redete mir ein, sie würden mich verstehen. Und Sefano. Wir kannten uns seit dem Sandkasten, so lange ich denken konnte. Irgendwie war immer klar gewesen, dass wir zusammen sein werden. Und viele Jahre hatte ich mir das auch schön vorgestellt. Aber wir waren so verschieden. Er mochte es, mondän zu leben. Er lag lieber an einem Pool und zeigte seine Designer-Sonnenbrille, während ich einfach ins Meer sprang. Für ihn war das nichts, er hatte Angst vor allem, was darin herum schwamm und kroch. Ich kletterte lieber in Ruinen herum und holte mir blaue Flecken, er ließ keine Party aus. Ich wünschte mir, irgendwann unseren Hof zu übernehmen, in den Weinbergen zu arbeiten, selbst einmal einen großen Wein zu schaffen. Für Stefano war auch das nichts. Er saß lieber in seinem klimatisierten Büro in der Firma seines Vaters, die er irgendwann übernehmen würde. Ein Bauernhof war der letzte Ort, an dem er leben wollte. Er ließ jetzt schon Pläne machen, für die Villa, die sein Vater uns zur Hochzeit schenken würde. Unsere Väter waren geschäftlich miteinander verbunden und die „Fusion“ der Kinder schien der perfekte Plan. Aber es war nicht mehr mein Plan, das war mir inzwischen klar geworden. Ich wollte bei Dieter bleiben, ein Haus kaufen und dort mit ihm leben. Und ich war sicher, letztlich würde Papa seinen Segen geben. Auch er hatte gegen den Widerstand seiner Familie meine Mutter geheiratet. Die Ausländerin, die Deutsche, die für ihn ihr Land und ihre Familie verlassen hatte.
Als ich auf den Hof fuhr, sprangen wie immer sofort unsere Hunde freudig wedelnd um meinen Wagen herum. Normal, wenn ich heimkomme, sind alle da, es wurde groß gekocht, ein stundenlanges Festessen mit viel Gerede, Wein und gutem Essen wartet dann auf mich. Heute schien alles recht ruhig, keiner kam heraus und als ich das Wohnzimmer betrat, wurde mir klar, dass es nicht so einfach werden würde, wie ich gehofft hatte. Mama und Papa waren da, meine Oma saß mit am Tisch, und – Stefanos Vater. Aus einem ruhigen Gespräch wurde nichts. Papa schimpfte sofort los, was ich mir gedacht hätte, einfach mitten in der Nacht zu verschwinden, was die Leute wohl reden würden. Meine Nonna murmelte etwas von „undankbar“, Stefanos Vater mischte sich ein, dass sein Sohn mit „seiner gesellschaftlichen Stellung“ schon eine verlässliche Partnerin brauche die ihm nicht Hörner aufsetzt (ital. für Fremdgehen). Ich stand mit offenem Mund da, alles was ich hatte sagen wollen, war aus meinem Kopf verschwunden, mir war schwindlig und ich wollte nur noch weg. Und da hörte ich das Motorrad auf den Hof fahren. Stefanos getunte Ducati war auf zehn Kilometer zu erkennen. Einen Augenblick später betrat Stefano den Raum. Wie immer, wenn er auf unseren Hof kam, trug er seine beschissene weiße Jeans, wohl um allen zu signalisieren, dass er sich ja nicht dreckig machen darf. Er grinste mich schief an und hielt mir linkisch einen Blumenstrauß entgegen. Ich flippte in dem Moment völlig aus. Ich nannte Stefano einen dreckigen Bastard, sagte seinem Vater, dass er sich seine gesellschaftliche Stellung sonst wohin stecken könne und keifte dann meinen Vater an, seit wann er Verstärkung brauche, um mit mir zu reden. Ich ließ die Bombe mit Dieter platzen, sagte allen, dass ich mich verliebt habe und das schon sehr lange, und dass ich fort gehen werde. Alle schrieen wild durcheinander, jeder versuchte den anderen zu übertönen. Mein Vater setzte sich durch, er herrschte mich an, dass er das nie erlauben werde und verbot mir augenblicklich den Umgang mit „diesem Mistkerl“. Ich wollte gerade zurück schreien, da schlug meine Mutter plötzlich dermaßen laut auf den Tisch, dass wir alle erschrocken still waren und sie anstarrten. Und nach einer endlos langen Pause sagte sie nur einen Satz:
„Geh, Chiara, folge deinem Herzen, ich regle das hier“. Ich sah lange in ihre ruhigen sanften Augen und schließlich nickte ich einfach. Papa erhob sich halb von seinem Stuhl und machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber dann traf ihn Mamas Blick. Ihr anderer Blick, der strenge, der keinerlei Widerspruch duldet, und er ließ sich zurück auf seinen Stuhl sinken und klappte den Mund zu.
Und ich drehte mich einfach um und ging, stieg in meinen Wagen, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und fuhr los. Nach Hause, zu Dieter.
iL Tedesco – Der Deutsche ist soeben als Buch erschienen:
-> Taschenbuch
-> ebook
Gefällt mir, ich kann mir all die geschilderten Momente real vorstellen,
Such is life in Europe!
Gefühl, Drama, Freude. Das beste ist: die Betroffenen entscheiden letztlich selbst, dies ist in den meisten Fällen auch die beste Option.
Liebe Chiara, wie authentisch auch immer, die Geschichte ist gut und zeigt uns viele bekannte Seiten eines uns gut bekannten Spiegels. Wir alle hoffen, dass das Blatt sich zu Guten wende und wir alle ein paar Tränen abwischen können.
Meine Feststellung, wer nicht Tränen vergießen kann im Leben verpasst etwas. Ist der Anlass Freude, ist alles hundert tausendmal schöner.
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…wie aus einem Film…man bekommt direkt Gänsehaut. Klasse geschrieben
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