ich sitze in der kleinen Bar am Hafen und trinke einen Espresso, rauche, schaue den Schiffen zu, die hinaus fahren. Die Sonne steht schon tief und obwohl es noch warm ist, merkt man bereits den kühlen Unterton des bevorstehenden Herbstes. Paolo fragt mich, ob ich noch einen caffè möchte, und ich schüttle nur abwesend den Kopf und starre weiter auf die Schiffe und spiele mit meinem Feuerzeug und versuche zu erkennen, was anders ist und merke, dass es die Schatten sind, die etwas anders ausfallen als noch im August, als wir noch jeden Tag am Meer verbracht haben und die Nächte am Strand, wo wir Fisch gegrillt haben und Musik gehört und geredet und gelacht.
Ein paar Männer die ich entfernt kenne, weil sie oft bei uns auf dem Hof sind und mit meinem Vater Geschäfte machen, kommen in die Bar und grüßen mich im vorbeigehen und ich nicke nur und drehe mich weg weil ich nicht reden möchte. Unter der Sonnenbrille füllen sich meine Augen mit Tränen und ich schlucke kräftig und versuche sie zurückzuhalten und bekomme dieses Druckgefühl im Hals, das man immer hat wenn man heulen muss und eigentlich gar nicht will.
Ich hebe die Hand und versuche mit fester Stimme ein Glas Weißwein zu bestellen, aber meine Stimme ist so leise, dass ich es dreimal sagen muss und als Paolo fragt, ob alles in Ordnung ist, nicke ich wieder und zünde mir noch eine Zigarette an. Ich will nicht, ich will einfach nicht. Es ist nur für ein oder zwei Monate haben sie mir gesagt, aber ein oder zwei Monate sind lang, sehr lang – und ich weiß, dass ich das nicht überstehen werde und versuche mir einen Plan auszudenken, warum ich es nicht tun werde. Paolo bringt den Weißwein und alles was man sonst noch so bekommt, wenn man in Italien in einer Bar gegen Abend oder am späten Nachmittag einen Drink bestellt, kleine Schnitten, Oliven, Käse, Chips, Erdnüsse. Da ich fast jeden Tag hier bin bekomme ich die VIP-Ausstattung, aber ich habe keinen Hunger und rühre nichts an, was ein Fehler ist, denn natürlich kommt Paolo sofort und fragt mich, ob etwas nicht stimmt. Ich starre ihn durch meine fast schwarze Sonnenbrille nur an und versuche zu lächeln und schüttle den Kopf und sage dann, dass alles in bester Ordnung ist, was er mir nicht glaubt. Als er in der Bar verschwindet lege ich schnell etwas Geld auf den Tisch und kippe den Wein runter und flüchte. Ich laufe zum Leuchtturm und das letzte Stück ziehe ich meine Schuhe aus und laufe durch den nassen Sand und genieße die Kühle und die Körner die sich durch meine Zehen drücken und am Leuchtturm setze ich mich auf den Felsen und lehne mich an und schließe die Augen.
Ich weiß nicht wie lange ich so sitze aber es wird kalt und die Sonne wirft jetzt so lange Schatten und bis auf ein kleines Schiff am Horizont ist das Meer leer und ich bin allein mit ihm und ich greife in den Sand, nehme eine Handvoll, die ich durch die Finger rieseln lasse und sage ganz leise „ich liebe Dich.“
(Aus „iL Tedesco – Der Deutsche“)
iL Tedesco – Der Deutsche ist soeben als Buch erschienen:
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