Rückblick, ca. 2004/ 2005
… ich wache auf, weil ich laute Stimmen höre und blinzle in die Sonne, die mir voll ins Gesicht strahlt und bin, wie immer morgens, ohne jede Orientierung. Mein Blick fällt auf Stefano, der noch schläft, und als sich der Nebel in meinem Kopf zu lichten beginnt, versetze ich ihm einen harten Schlag auf die Schulter. Er schaut mich entgeistert an, aber ich bin schon aus dem Bett gesprungen und schmeiße ihm seine Kleider ins Gesicht. Wir müssen letzte Nacht eingeschlafen sein, und wenn mein Vater ihn hier morgens in meinem Bett findet ist die Hölle los. Ich schicke ihn über die Hintertreppe aus dem Haus und stelle mich unter die Dusche. Von meinem Schlafzimmer aus sehe ich in die sanft ansteigenden Hügel der Emilia Romagna mit ihren vielen verstreuten Natursteinhäusern und den Weinbergen – und als mir bewusst wird, dass ich mit der Schule fertig bin und ein ganzer Sommer noch vor mir liegt, könnte ich heulen vor Glück.
Ich gehe nach unten in die Küche und Papa sitzt mit einem Mann am Tisch den ich vom Sehen her kenne, ein Agente Immobiliare, ein Makler, aus Ravenna und sie reden laut aufeinander ein und beachten mich nicht. Erst als ich Papa küsse, murmeln beide ein „Guten Morgen“ und setzen ihr Gespräch etwas leiser fort. Ich gehe zum Gasherd und schenke mir aus der Caffettiera einen Espresso ein und lehne mich mit dem Rücken an die Arbeitsplatte.
Mein Vater lacht gerade höhnisch und das Gespräch läuft in etwa so ab:
„Du bist ein Dummkopf, äh, niemand zahlt für so einen alten Haufen Steine die du Haus nennst Geld“ sagt mein Vater und lehnt sich zurück.
„Vittorio, du hast ja keine Ahnung, die Deutschen kaufen diese alten Häuser wie verrückt, erst haben sie am Gardasee gekauft, dann in der Toscana, und jetzt kommen sie zu uns. Gib mir dein Haus, was willst du noch damit?“
„Okay“ und mein Vater zieht dieses „okay“ so richtig in die Länge, „dann bring mir einen Käufer, der mir 50.000 dafür zahlt.“
„Vittorio, du spinnst“ sagt der andere. „50.000 Euro?“ Er lehnt sich zurück und taxiert meinen Vater. „Niemand außer dir wäre so dumm, das Haus für 50.000 herzugeben“
Das saß, mein Vater schnellt nach vorne, und ich kenne diesen Blick, wenn er merkt, ui, da lässt sich was teuer verkaufen. „Was meinst du mit dumm, äh, wie viel bekomme ich dafür?“
Lange schauen sie sich in die Augen, keiner spricht, mein Caffè wird kalt, dann beugt sich der andere ganz weit vor und sagt triumphierend: „Ich bringe Dir Käufer, die zahlen mindestens 100.000! Euro!“ Nun ist ja Euro auf italienisch schon lustig, wir sprechen es aus, wie man es schreibt, wir kennen kein „eu“, aber er zieht es richtig lang „E_ U_ R_ OOO“.
Unser Land ist groß, wir besitzen unzählige Hektar, und ich weiß, dass wir drei oder vier von diesen alten Ruinen besitzen, wie unsere ganzen Nachbarn auch. Alte Höfe, die irgendwann aufgegeben wurden, weil das Baurecht für ein neues Haus an anderer Stelle benötigt wurde, weil die Bewohner gestorben sind und die Kinder längst neue Häuser haben. Diese alten Natursteinhäuser, sie verfallen, werden als Scheunen, Futterlager oder gar nicht mehr benutzt. Ein paar wurden die letzten Jahre restauriert, meist von Ausländern oder Römern, die sich ein Wochenendhaus daraus gemacht haben, die die alten Mauern wieder aufbauen, die alten Eichenbalken wieder richten und die Dächer neu decken. Ich liebe diese Häuser, aber dass man dafür soviel Geld bekommen sollte, war mir neu.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, denn mein Vater setzt wieder an: „Und wie stellst du dir das vor, äh, ich gebe dir mein Haus und dann? Was machst du dann, wer soll aus Deutschland kommen und von meinem Haus wissen?“
„Vittorio, ich biete es in Deutschland an, und dann kommen die Deutschen und kaufen es.“
„Du? Pah.“ sagt mein Vater „Du bietest es an, und dann kommen Deutsche? Wer bist du, kannst du deutsch, äh? Oder englisch? Oder irgendwas außer deinem Dialekt? Wie willst du das machen, sag’s mir?“
Der andere lächelt, wie ein Jäger, der weiß, dass er die Beute hat. Er lehnt sich zurück, lächelt, streicht sich über den gewaltigen Bauch, lächelt und sagt: „Nein, Vittorio, ich kann kein deutsch.“ Er lächelt meinen Vater an, der starrt zurück. Und plötzlich fängt mein Vater auch an zu lächeln, und dann – in Zeitlupe – drehen beide den Kopf ganz langsam in meine Richtung, und der Mann sagt: „Nein, Vittorio, ich nicht, aber Chiara, sie ist doch eine halbe Tedesca, o no?“
(Unter „Fotos“ findet ihr ein Bild, das ich von meinem Zimmer aus aufgenommen habe.)
Danke Chiara, deine ‚Geschichte‘ und deine Sprache gefallen mir sehr. Ich habe nur etwas geschnuppert (nicht alles gelesen), vielleicht lese ich den Rest später.
Ich wünsche dir viel Erfolg und auch dass sich deine Wünsche erfüllen mögen. Ein einziger Rat auf den Weg: versuche von den Zigaretten weg zu kommen (ich habe selber über 40 Jahre geraucht und bereue es).
Saludos cordiales de Andalucía
FedericoUno (mein twitter-Name)
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