Tag 6
Nachdem ich gestern mit der Familie den Ostersonntag verbracht hatte, waren heute meine Freunde dran. Ich hatte ja erzählt, dass ich das bereits im Februar geplante Menü über den Haufen geworfen hatte, nach dem wir in den letzten Tagen dieses neue Restaurant besucht hatten, und sich auch noch herausgestellt hatte, dass ich die Betreiber kenne. Ein Restaurant, das jeden Yachthafen schmücken würde, ganz in weiß, die Terrassen rundherum in dunklem Holz, das Ganze keine zehn Meter vom Ufer entfernt. Das le Vele liegt zwischen zwei Orten, die zu den Lidi, den Stränden, von Ravenna gehören, zwischen Lido Adriano und Lido di Dante. Lido di Dante ist ein Geisterort, er besteht nur aus Ferienhäusern, ausserhalb der Saison ist dort kein Mensch. Das Interessante ist, dass hier ein Nationalpark beginnt, zu diesem Park gehört ein fast 10 Kilometer langer Strand, der unter Naturschutz steht. Naturschutz heißt, er darf nicht bebaut und nicht bewirtschaftet werden, sehr wohl aber zum Baden benutzt werden. Hier kann man Strand pur erleben, hier werden keine Muscheln weggerecht und kein Treibholz entfernt. Man muss durch eine dicke Schicht Muscheln ins Wasser, es gibt keine Wellenbrecher und nach einem Sturm werden hier ganze Bäume angeschwemmt und der Natur überlassen. Leider sieht man auch, was auf dem Meer sonst noch so alles über Bord geht, meistens Abfall, manchmal sieht man an den angeschwemmten Stücken aber auch, dass da wohl ein Boot den Sturm nicht geschafft hat.
Wir waren einige Leute und hatten einen Tisch direkt am Fenster. Wenn man hinaus gesehen hat, war das kleine Stück Strand zwischen dem Restaurant und dem Wasser gar nicht zu sehen, so dass man das Gefühl hatte, direkt auf dem Meer zu sein.
Auch heute gab es wie gestern ein vorgegebenes Menü, man kann nur zwischen Fleisch oder Fisch wählen, theoretisch, denn niemand würde wohl auf die Idee kommen, hier Fleisch zu essen.
Es gab zwei antipasti, einmal warme Tintenfischstücke in einer Limonensoße, mit kleinen Kartoffelstückchen, dann eine kalte Portion Miesmuscheln, traditionell in Knoblauch- Weißweinsud. Dann eine Portion Tagliatelle mit Meeeresfrüchten. Hier musste ich wie immer eine Diskussion mit dem Koch führen. Bei uns in der Emilia wird jeder Sugo (also die Souce) mit Tomaten zubereitet, das nennt sich in rosso (rot), außer bei Spaghetti mit Venusmuscheln, aber selbst da habe ich es schon erlebt. Eine Region weiter, die ich sehr liebe, in Le Marche (den Marken) ist die Zubereitung ohne Tomaten verbreitet, das nennt sich dann in bianco (weiß). Die Grundrezepte sind fast gleich, Olivenöl, Weißwein, Knoblauch, Kräuter, nur eben ohne Tomaten. Kurz und gut, ich habe eine weiße Souce bekommen.
Nach dem üblichen Sorbet gabs dann noch fritierten Fisch, mit Garnelen, Tintenfischringen, ganzen Gamberitini zum selber knacken und halben Krabben, zum auspuhlen. Fritiert heißt hier übrigens nicht, dass man das ganze in die Friteuse kippt und in Fett ertränkt, sondern klassisch, also in kochendem Olivenöl ausbäckt, was wesentlich bekömmlicher ist und auch nicht so reinhaut.
Die Krönung waren die spiedini, die Spieße vom Grill, mit Tintenfisch und Garnelen.
Mit Dessert, Caffè und Amaro (Amaro bezeichnet den „Schnaps“ nach dem Essen) waren wir fast vier Stunden im Restaurant. Statt Grappa habe ich einen Limoncello bekommen, das ist ein Zitronenlikör. Die Flasche wird im Eisfach aufbewahrt, man muss ihn eisgekühlt trinken. Es war selbstgemachter, und man hat die Sonne aus den Zitronen Siziliens förmlich herausgeschmeckt.
Wie alle Italiener stehe ich in ständigem Kontakt mit meiner Familie und meinen Freunden, per Telefon, SMS, E-Mail, und das quasi rund um die Uhr, daher wissen natülich auch alle, wie ich mich in München gefühlt habe. Als wir nach dem Essen faul im Sand lagen, kamen die ersten Fragen, wie es in Deutschland so sei, was mir dort nicht gefalle, warum ich es dort so schrecklich finde. Aber das ist ein Mißverständnis, ich finde Deutschland nicht schrecklich oder schlimm. Im Gegenteil, es ist ein wunderbares Land, so sauber, so sicher (ich habe dort nirgends vergitterte Fenster an den Häusern gesehen), Zusagen werden eingehalten, alles funktioniert, es gibt ernst zu nehmende Politiker, die Leute sind höflich, Termine werden eingehalten. Was mich immer gewundert hat, ist, dass ich in Deutschland eigentlich niemanden getroffen habe, der gern dort zu leben scheint, niemanden, der zufrieden ist, oder Glück ausstrahlt, oder Stolz ist, auf sein Land. Das habe ich bis heute nicht kapiert. Wir Italiener platzen schon vor Stolz über unser Italien, in dem so viel im Argen liegt, hätten wir ein Land wie Deutschland, wir würden vermutlich ausflippen.
Nein, es ist nicht Deutschland, dass es mir so schwer gemacht hat, es ist die Situation, dass ich mich nicht umsehen konnte, mir ein Plätzchen aussuchen konnte, an dem ich mich dann niederlasse. Es ist die Situation, dass ich einfach plötzlich in München war, und dass ich dachte, ich bleibe 1 oder 2 Monate, und dann gehe ich wieder heim. Und nun ist daraus ein halbes Jahr geworden, und wie es aussieht, wird noch mindesten ein weiteres halbes Jahr dazukommen.
Und dann musste ich plötzlich an die vielen Tränen denken, die ich in München schon vergossen habe, wenn ich abends alleine in dieser viel zu großen Wohnung sitze, und an die vielen Nächte ohne Schlaf, an die Momente, wenn ich Nachts auf die Terrasse gegangen bin, und gelauscht habe, ob ich irgendetwas höre, das mir vertraut ist, oder wie ich mich gefreut habe, wenn Sturm war, oder wenn es geschüttet hat, wie ich dann trotz größter Kälte ein Fenster geöffnet habe und mir vorgestellt habe, ich höre das Meer, das da so rauscht – all das fiel mir plötzlich wieder ein, und trotz dem guten Essen, dem vielen Wein, der Sonne heute am Strand wurde mir auf einmal so kalt und ich bekam Angst, in ein paar Tagen wieder genau da weiter zumachen, wo ich vor einer Woche aufgehört hatte.
Und sie haben mich alle in den Arm genommen und mich getröstet und dann bin ich trotz des kalten Wassers schwimmen gegangen und habe das Salz geschmeckt und obwohl ich fast erfroren bin, habe ich mir vorgestellt, dass ich einem Meer aus Tränen schwimme – und das hat mich irgendwie getröstet.
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