Tag 5 mit Abend
Heute gehts zum Ostermenü. Ich werde ja immer wieder gefragt, wie man ständig soviel essen kann, ohne furchtbar fett zu werden. Ich glaube, der Unterschied liegt in unserer Eßkultur. Wir haben meist hohe Temperaturen und essen daher natürlich viel leichter als nördlichere Länder. Und in Italien sind Beilagen zum Essen unüblich. Man kann ohne weiteres Fleisch oder Fisch ohne alles bestellen, das ist völlig normal. Will man Beilagen, findet man diese separat auf der Karte. Ohne diese Sättigungsbeilagen reduziert sich natürlich die Kalorienmenge gewaltig. Übrig bleibt Fisch, Fleisch, Gemüse – in der Regel nur mit Olivenöl gebraten oder gegrillt. Dazu gibts noch ein paar Tricks, wie z.B. ganz wichtig: Hände weg vom Brotkorb. Und ab und zu einfach mal das Abendessen weglassen, wenn man ohnehin das Mittagessen bis in den Nachmittag ausgedehnt hat, ergibt sich das von selbst.
Wir waren heute mit der ganzen Familie in einem meiner Lieblingsrestaurants zum großen Ostermenü, das Lokal war brechend voll. Unser Tisch war mit fast 20 Personen einer der größeren Familientafeln. Vera, die Wirtin, hat mich abgeküßt und ich musste wieder etwas heulen, wie das ja schon die ganzen Tage so geht.
Es gab zwei verschiedene Antipasti, ich kenne das deutsche Wort dafür nicht, also eigentlich die Vorspeise zur Vorspeise. Zuerst Miesmuscheln in Knoblauch-Weißweinsoße und danach Tintenfischringe (unpaniert). Dann kamen die beiden eigentlichen Vorspeisen, zuerst Pasta mit Meeresfrüchten und danach ein Risotto mit Muschelfleisch.
Um für den Hauptgang gerüstet zu sein, gibts dann dazwischen traditionell ein Sorbet. Das ist dann der Punkt, an dem spätestens jeder das erste mal stöhnt. Die beiden Hauptgerichte waren zuerst eine Portion fritierter Meeresfrüchte und dann noch eine gemischte Platte mit gegrilltem Fisch. Dazu unmengen von eisgekühltem Frizzante. So ein Essen kann man natürlich nicht schnell hinter sich bringen, denn natürlich unterhalten wir uns alle wild durcheinander, erzählen uns die neuesten Geschichten und so vergeht die Zeit, während man dazu langsam ißt.
Nach dem Hauptgericht ging ich nach draußen, um zu rauchen, und während ich in Gedanken an einer Mauer lehne, steht plötzlich Stefano vor mir. Er sieht wie immer blendend aus, seine schwarzen Locken glänzen noch mehr als sonst, er trägt ein weißes Hemd zur schwarzen Hose und grinst mich schief an. Ich habe mich die ganzen Tage schon vor dieser Begegnung gefürchtet und merke, wie mir die Knie weich werden. Er fragt mich, wie es mir geht und ich werde unsicher und merke wie mir der Schweiß ausbricht. „Und, wie ist es in Deutschland?“, schiebt er dann grinsend hinter her, und ich denke an unsere letzte Nacht und seine Vorwürfe und die SMS, mit der unsere Verlobung gelöst hat und bekomme auf einmal wieder dieses Gefühl, ihm wehtun zu wollen, und ich sage ihm, dass er recht hatte, und dass ich jetzt einen Freund dort habe – was gar nicht stimmt – aber er glaubt es und seine Augen funkeln plötzlich und dann nennt er mich puttana (Hure), er spuckt mir dieses eine Wort förmlich ins Gesicht und dreht sich um und lässt mich stehen und ich bin ganz erstaunt, weil ich merke, dass es mir fast nicht mehr weht tut, zumindest viel weniger, als ich gedacht hätte.
Nach dem Dessert, dem Grappa und dem Caffè verabschiede ich mich, ich fahre nicht zurück mit in die Hügel, ich bleibe am Meer, denn am Ostermontag steht das zweite Menü an, diesmal mit Freunden, in einem Restaurant, das ich vor wenigen Tagen erst kennengelernt hatte, direkt am Strand.
Ich liege am Nachmittag in meinem Schlafzimmer auf dem Bett, draußen tobt das Leben, als mein Handy klingelt, es ist Stefano. Aber ich habe keine Lust, mit ihm zu sprechen und klicke ihn weg. Nachdem dieses Spiel einige mal hin und her geht und er nicht aufgibt, schalte ich in den Flugzeugmodus und schlafe ein.
Gegen sieben Uhr bin ich verabredet, aber ich komme erst um halb acht an, und sitze mit vielen meiner Freunde beim aperitvo. Alle waren heute mit Ihren Familien beim Ostermenü, so essen wir alle fast nichts und begnügen uns mit etwas Wein.
Danach fahren wir die Küste hoch, ich möchte heute in meine Bar, ich habe schon einmal davon erzählt, diese kleine Bar direkt am Hafen, in der ich immer das Gefühl habe, die Zeit wird angehalten, und man klinkt sich für eine Weile aus der Welt aus. Wir fahren mit mehreren Autos und bevor wir in das Lokal gehen, bummeln wir noch etwas am Pier entlang. Der eigentliche Hafen ist weiter im Land, der Industriehafen von Ravenna, und das Pier ist auch kein schickes Hafenpier, sondern einfach alt, vergammelt und dreckig. Aber ich mag diesen Ort so gerne und nachdem wir noch ein paar Fischern zugesehen haben, die Ihre Boote für die Nacht fertig machen, in der sie wieder auf See fahren, suchen wir uns einen Platz in der Bar, wo wir für Stunden reden und alle die Zeit vergessen. Es ist Claudio, der irgendwann völlig übermüdet zum Aufbruch drängt. Aber ich will noch nicht nach Hause und obwohl mich meine Freunde nicht zurücklassen wollen, kann ich Ihnen doch irgendwie klar machen, dass ich noch ein paar Minuten bleiben will – ich hatte das von Anfang an ohnehin vor.
Und dann sitze ich allein an diesem vertrauten Ort und lasse den Blick schweifen und mir fallen die vielen Abende und Nächte wieder ein, die ich hier schon gewesen bin, manchmal besonders glücklich, manchmal besonders traurig, aber immer irgendwie in einer besonderen Stimmung. Und so sitze ich in Gedanken versunken hier, und als ich irgendwann dann zahle und gehe, ist es so spät, dass die Motorfähre nicht mehr fährt und ich muß einen riesen Umweg fahren, bis ganz nach Ravenna rein, zur ersten Brücke, und irgendwie habe ich das Gefühl, dass manchmal Umwege nötig sind, um die sonst so selbstverständlichen Dinge erst wirklich schätzen zu können.
Wieder schön geschrieben. Wenngleich Dein Bekannter sich unmoeglicb benommen hat. Ohne eine Entschuldigung von ihm würde ich nicht mehr mit ihm sprechen. Lass Dir Deine Zeit nicht vergmiesen.
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