Freitag, das Telefon klingelt.
„Pronto!“
„Hallo, Chiara?“ Ah, eine Freundin von mir. Sie kennt doch meine Stimme, aber jedes Mal fragt sie noch mal nach.
„Si, was gibt’s?“
„Wir wollten dich einladen, morgen, zum Mittagessen. Gibt da nen tollen Italiener, in Bogenhausen (was immer das ist). Du hast doch Zeit, oder?“
Hm, das durchkreuzt meine Pläne fürs Wochenende. Ich hatte mir viel vorgenommen. Wollte zwei Tage sehr intensiv auf der Terrasse sitzen, Wein trinken, essen, lesen, schlafen, schreiben, nachdenken. Aber ich weiß eh, dass sie nicht lockerlassen wird.
„Hm, ok, wann meinst Du denn?“
„So gegen 12.30 Uhr. Ist dir doch recht, wenn wir noch jemanden mitbringen?“
Alarmglocken! Ich ahne Schlimmes und bin voll in die Falle getappt.
„Äh, nur ein Bekannter von uns, er ist, äh, allein derzeit.“ Pause „Ein ganz Netter!“ schiebt sie noch nach.
Das übliche Spiel. Seit wir uns über die Arbeit kennen gelernt haben, waren wir ein paar Mal aus, sie hat mir ein wenig die mir unbekannte Stadt gezeigt und ich habe sie und ihren Freund ein paar mal am Sonntag zum Essen eingeladen. Und irgendwann hat sie beschlossen, einen Mann für mich zu finden. Gegen meinen Willen, aber das stört sie nicht.
Samstagmorgen. Ich habe wenig geschlafen, die ganze Woche schon, aber ich könnte die Welt umarmen. Ich trödle beim Frühstück, trinke unmengen Caffè, schaue aus dem Fenster. Bis mir einfällt, dass ich um 12.30 Uhr verabredet bin. Eine unmögliche Zeit, da hab ich normalerweise gerade so den aperitivo verdaut. Aber mir wurde erklärt, dass in Deutschland die Küche mittags nicht so lange offen hat. Warum auch immer. Ich habe keine Lust auf Mister Unbekannt, der mir heute wieder vorgestellt wird. Ich mag ohnehin keine arrangierten Dates, kann er nett sein, wie er will.
Ich überlege, was ich anziehe, Mittlerweile kompensiere ich diese „Verkupplunsdates“ mit wechselnden Rollen. Heute wäre mir nach der arroganten Römerin oder der schusseligen Landpomeranze. Ich bewundere die Frauen in Rom. Sie haben es perfektioniert, sich die aufdringlichen italienischen Männer vom Hals zu halten. Sie kleiden sich elegant, sie schaffen eine Aura um sich, die unüberwindbar ist, sie haben diesen Blick, der vernichtend und milde zugleich ist, kurz, sie sind Göttinnen. Aber auch verdammt anstrengend, diese Aura aufrecht zu erhalten. Ich entscheide mich für ein cremefarbenes Kostüm, rosefarbene Seidenbluse und meine größte Sonnenbrille, die ich habe.
Plötzlich fällt mir ein, ich bin ja in Deutschland, ich sollte also pünktlich sein. Okay, pünktlich werde ich nicht mehr schaffen, aber, hm, sagen wir, noch einigermaßen.
Ich fahre mit dem Lift ins Untergeschoss, steige aus, sehe eine Katze, zwei Frauen, wundere mich kurz, sehe plötzlich eine winzige Maus – und dann trifft mich fast der Schlag. Die beiden Weiber fangen an zu schreien wie am Spieß und ich bekomme einen Anflug von Kopfschmerzen. Die Maus quetscht sich unter der Türe zur Tiefgarage durch, die Frauen stehen zitternd da, die Katze schaut blöde. Oh Mann. Ich schließe die Türe zur Tiefgarage auf, die Maus drückt sich ängstlich an die Wand, wenn ich jetzt einfach gehe, wird die Katze sie erwischen, oder sie bekommt von dem Geschrei einen Herzinfarkt. Die Maus starrt mich an, ihr Herz rast, sie pumpt wie verrückt. Scheiße. Ich überlege kurz, greife mir ein Stück Pappkarton, scheuche die Katze weg und treibe die Maus die Treppe nach oben. Sie springt tapfer von Stufe zu Stufe, die letzten schafft sie kaum noch, dann kommt die Katze zurück und die Maus springt die ganze Treppe wieder in einem Satz zurück und quetscht sich wieder unter der Türe zur Garage durch. Jetzt langt’s. Ich gehe in den Keller, hole einen Blumentopf, jage das Tier gut 5 Minuten, bis sie müde ist, dann endlich kann ich den Topf über sie stülpen, den Karton drunter schieben und die kleine Maus in den Nachbargarten aussetzen.
Im Restaurant komme ich mit einer halben Stunde Verspätung an. Julia und Kurt sehe ich schon von der Straße aus, als ich meinen Smart parke, Mister Unbekannt sitzt mit dem Rücken zur Straße. Die Begrüßung ist wie immer übersichtlich zurückhaltend, anders als ich das von zu Hause kenne, aber das weiß ich inzwischen ja schon. Mein Date steht steif auf und gibt mir die Hand, ich mustere ihn kurz durch meine Sonnenbrille, die ich unhöflicherweise auflasse und vergesse seinen Namen sofort wieder. Gut, wir sitzen draußen, ich kann also rauchen. Schlecht, wir sitzen draußen, ich kann also nicht ab und zu zum rauchen verschwinden.
Ich erzähle die Geschichte mit der Maus und der Typ versucht beeindruckt zu tun, ich merke aber ganz genau, dass er nicht begreift, warum man sich wegen einem Tier so viel Mühe macht. Die drei haben schon eine Flasche Wasser auf dem Tisch, kein Wein. Ich schaue mich um, münchner Chic, wohin man blickt. Nur teure Autos am Straßenrand, zwei Frauen kommen in einem Porsche, finden einen Parkplatz direkt vorm Lokal, schauen erfolgsheischend in die Runde. Ich beginne mich unwohl zu fühlen. Ich esse lieber in kleinen Trattorien, wo der Wirt selber kocht und keine Speisekarte ausliegt, weil man gesagt bekommt, was heute gut ist.
Der Kellner kommt. Ein Italiener. Begrüßt uns auf italienisch, ich gebe mich vorerst nicht zu erkennen. Er fragt die Getränke ab, und alle bestellen sofort. Ich strahle ihn an, sage ihm, dass ich noch nicht weiß, was ich essen werde und daher natürlich nicht weiß, was ich trinken möchte. Dann frage ich ihn, was er empfehlen kann. Antwort: „Bei uns ist alles gut.“ So so.
Ich klapp die Karte auf. Dachte ich mir schon. Stinknormales Saltimbocca: € 22,90, Seezunge: € 26,90, Scampi vom Grill: € 28,90. Die Weinempfehlung der Woche, die Flasche fast 25 Euro. Ich kenne den Wein, der kostet im EK keine sechs Euro.
In Italien gibt es einen schönen Spruch, der geht ungefähr so: Nach einem harten Tag lässt du dich abends in die Obhut eines verständnisvollen Wirts fallen. Ok, ich werde mal versuchen, mich in die Obhut dieses Kellners fallen zu lassen. Mister Date schlägt vor, zum Essen noch den Wein der Woche zu nehmen, ich lächle ihn an und sage ihm, dass ich lieber einen offnen Wein möchte. Dann bestelle ich mir das Menü, sagenhaft günstig für € 19,90, eine Vorspeise, Pasta, als Hauptgericht Straccetti, also Rindfleischscheiben.
Julia schwärmt inzwischen meinem Date vor, wie gern ich esse, wie gut ich koche, wie ALLEINE ich bin, das betont sie in jedem zweiten Satz. Er erzählt irgendetwas von seiner Arbeit, was wohl beeindruckend ist, aber leider seine Wirkung verfehlt, weil ich eh nicht zuhöre. Wir sitzen in der Sonne, die drei fangen an zu schwitzen, mir ist etwas kühl und ich überlege, wie schön der Sonntag werden wird.
Meine Pasta sind Ravioli mit einer Soße aus Sahne, Schinken, Erbsen, sie tragen den Namen des Lokals, sind aber stinknormale Supermarktnudeln, dazu völlig überwürzt, viel zu viel Pfeffer – regulärer Preis außerhalb des Menüs: völlig überteuert. Ich stochere lustlos darin rum und schütte mir viel zu viel vom Rotwein rein. Die anderen loben das Essen, das Ambiente, die Gegend, erklären mir, das dies Bogenhausen sei, und das man hier halt noch „gutes Publikum“ habe – was immer ich mir darunter vorzustellen habe. Der Parmesan fehlt, der Rotwein ist viel zu warm, der Typ viel zu langweilig, meine Laune sinkt immer weiter. Der Kellner wuselt zwischen den Tischen, macht einen auf total beschäftigt und hat keinerlei Auge für die Wünsche seiner Gäste. Ich winke ihm kurz zu, warte bis er vor mir steht und in seinem deutsch-italienisch, dass er besonders gespreizt einsetzt, gelangweilt fragt, was ich will. Ich lächle ihn an und dann schwalle ich ihn auf italienisch zu, sage ihm, dass seine Nudeln nicht schmecken, sein Wein zu warm ist und er den Parmesan gar nicht mehr bringen braucht und die Vorspeise mitnehmen soll. Das alles sage ich lächelnd, so dass meine Begleiter denken, ich freue mich. Als er den Teller beleidigt mitnimmt, schauen sie mich fragend an, und ich erkläre, dass ich noch Platz für den Hauptgang lassen will.
Dann erzählt mein Date, wo er dieses Jahr schon war und wo er noch hin will und was ich davon halten würde, und ob ich da schon gewesen bin. Ich spiele gelangweilt mit meinem Handy, strahle ihn an, tue interessiert – und setze einen Hilferuf an meine Timeline bei Twitter ab.
Um mir die Zeit zu vertreiben, gehe ich zur Toilette. Im Restaurant ist es leer, alle sitzen draußen, in der Sonne. Na ja, theoretisch, denn inzwischen wurde die riesen Markise ausgefahren, denn den Gästen ist das bisschen Sonne natürlich schon viel zu heiß. Ich frage zwei Kellner auf deutsch, wo die Toiletten sind, bekomme zur Antwort, es gibt keine und beide lachen sich kaputt. Ich lächle zurück, und sage dann auf italienisch, dass ich mir das bei diesem Laden schon gedacht habe. Sie starren mich an und dann kommt ein kleiner Mann hinter der Bar vor, begrüßt mich, lächelt, fragt mich, woher ich komme und wir unterhalten uns eine ganze Weile. Ich erzähle ihm, woher ich bin, warum ich hier bin und wir tauschen wehmütig unser Heimweh nach zu Hause aus. Er fragt mich, wie das Essen war und als Italienerin sage ich ihm natürlich nicht, dass es mies war, sondern suche nach Ausflüchten, was er natürlich merkt. Und so landen wir in der Küche. Ich liebe Restaurantküchen. Diese Hektik, dieser Trubel, dieser Lärm. Als Kind war ich oft bei meinem Onkel im Restaurant, habe den Köchen zugesehen, von Ihnen gelernt, diese Aufregung genossen. Sein Koch ist Sizilianer, ein dicker gemütlicher Mann mit riesen Bauch und großem Schnurrbart. Ich erzähle ihm von seinen Nudeln und er brüllt einen Aushilfskoch zusammen, hört sich genau an, was mir nicht geschmeckt hat, erklärt mir entschuldigend, dass er sich an den hiesigen Geschmack anpassen muss, erzählt mir von seinem Zuhause und schenkt mir einen Grappa ein. Ich erzähle von Onkel Carlo, von dessen Restaurant, das ich so liebe. Ich frage ihn, was er mit den Straccetti macht und wir diskutieren eine Weile. Zartrosa, das ist klar. Bratkartoffeln? Ich frage ihn, ob er mich umbringen will. Ruccola mit in Scheiben geschnittenem Parmesan, ok. KEIN Balsamico drauf, unmöglich. Wir diskutieren, jeder verteidigt seine Anschauung, wir nähern uns vorsichtig an einen Kompromiss heran. Die Gewürze? Knoblauch? Nein, die deutschen Gäste mögen das nicht so sehr. Mir egal, ich schon. Schließlich einigen wir uns auf eine Zubereitung. Zum Abschied küsse ich ihn auf die Wange und gehe zurück zum Tisch. Mein ungewolltes Date schaut irritiert, wo ich so lange war. Vermutlich denkt er, meine Verdauung sei etwas durcheinander. Mir egal, ich grinse vor mich hin. Mein Handy summt unentwegt, meine Timeline reagiert auf den Hilferuf, einer bietet sogar an, mich da raus zu holen. Ich muss lächeln.
Dass mein Gericht völlig anders ist, als auf der Karte, merkt keiner, sie schaufeln ihre Bratkartoffeln in sich rein und loben das Essen.
Mein Ausflug in die Küche hat scheinbar den Zeitplan ins Wanken gebracht, denn mein Date will schon bezahlen. Ich bestelle ungerührt einen Caffè und einen Limoncello und fühle mich zum ersten Mal ein bisschen Wohl.
Wir gehen jetzt noch Kaffeetrinken, teilt mir Julia mit. Aha, ich trinke doch gerade Kaffee, denke ich, aber sie meint diese Kaffee und Kuchen Sache, die ich noch nicht richtig durchblickt habe. Man isst morgens mehr als man kann, dann schaufelt man zum – viel zu frühen – Mittagessen tonnenweise Sättigungsbeilagen in sich rein, um danach sofort riesen Tassen Kaffee zu trinken und Torten dazu zu essen. Nur um dann um 19.00 Uhr schon wieder zu Abend zu essen. Ein tödlicher Kreislauf.
Fahr doch mit Ralf, ordnet Julia an, er kann dich später zu deinem Auto zurückbringen. Toll, ich fahre also mit Ralf zu Julia. Ralf ist toll. Ralf fährt Porsche. So denkt zumindest vermutlich Ralf. Ich steige also in seinen Wagen zudem er mir galant (affig) die Türe aufhält, dann springt er selber jugendlich sportlich rein, schiebt sich die RayBan zurecht und lässt den Motor an. Beim Einlegen des Gangs spreizt er den kleinen Finger ab und berührt damit wie unabsichtlich meinen Schenkel. Ich trage keine Strümpfe, was sich nicht gehört, zu so einer Einladung, aber ich bin in solchen Dingen ein kleiner Anarchist und die Berührung seines Fingers auf meiner nackten Haut ist unangenehm und ich unterdrücke den Impuls, ihm eine zu knallen und rutsche stattdessen ganz nach rechts in Richtung Türe. Ralf raucht nicht und daher bin ich gemein und räche mich, indem ich mir eine Zigarette anzünde, und als er mich anstarrt und überlegt, ob die Bitte, nicht zu rauchen, seine Chancen bei mir verschlechtern könnte (nein, den er hat eh keine), frage ich ihn schon ganz nett, wo denn der Aschenbecher sei. Aber den nutzt er als Lager für Pfefferminzbonbons, wohl damit sein Atem gut riecht, wenn er wieder mal seinen kleinen Finger beim Schalten ausfährt. Also öffne ich das Fenster und der Windzug verteilt die Asche im ganzen Auto. Wasn Pech.
Kaffeetrinken. Es ist wie befürchtet Filterkaffee, eine riesen Tasse, dazu gibt es Torte, Schwarzwälder Kirschtorte, wie ich inzwischen weiß, ein riesen Stück. In Deutschland ist alles groß und viel. Das ist mir schon oft aufgefallen. Man trinkt keinen Schluck Espresso, sondern einen ganzen Eimer Kaffee, Süßes ist nicht eine Kleinigkeit zum Kosten, sondern ein ganzer Teller voll, Wein ist nicht ein Schluck im Glas, sondern gleich randvoll eingeschenkt.
Wir sind in Ralfs Wohnung und er macht sofort den Fernseher an und zeigt uns Urlaubsbilder. Gefühlt sehe ich tausende Bilder von Ligurien, Toscana, Amalfiküste. Dazu erklärt mir Ralf Italien. Ich bekomme gesagt, wo ich UNBEDINGT hinmüsse, wo es schön sei, was ihn genervt hat und wie man sich wo zu verhalten habe. Irgendwie scheint er immer noch nicht begriffen zu haben, dass ich aus diesem Land stamme. Oder schlimmer, er glaubt, es besser zu kennen, als ich. Ich habe meine Schuhe ausgezogen und die Füße hochgezogen, auf seiner Designercouch, was ihn auch schon wieder zu irritieren scheint. Langsam werde ich müde, so müde, ich lege den Kopf nach hinten und schließe die Augen, denke an die kleine Bar am Meer, in der ich genau jetzt so gerne wäre, an die Wellen, höre die Möwen ihre spitzen Schreie ausstoßen, lächle bei dem Gedanken, wie schön es ist, nach einem langen Mittagessen in der Sonne zu dösen, stelle mir vor, wie ich einem bestimmten Menschen all diese profanen schönen und wundervoll einfachen Sachen zeige. Und von dem ich weiß, dass sie ihm gefallen würden.
Oha… Na ich glaub ich an deiner Stelle könnte mir auch etwas besseres vorstellen, als an einem Samstag zu einem „Zwangsdate“ eingeldaen zu werden.
Aber ich muss sagen: Respekt, dass du das so mit dir machen lässt 🙂
Naja und zum Glück gibt es ja Twitter, um sich nebenbei noch einigermaßen unterhalten lassen zu können 😀
Und in der Tat, hier in Deutschland scheint es öfters solche komischen Essenszeiten zu geben, bzw. es gibt oftmals viel oder große Portionen…
Liebe Grüße,
Torben
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Doch schoen dass Du eine einer Maus und einem Koch helfen konntest. 🙂
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*g* Jaaa , so sind Deutsche.
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Haha. Sehr schön. 🙂
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