Diese Briefe sind vom Oktober 2010 bis zum Frühjahr 2011 und setzen die Teile ABSCHIED I bis IV fort. Ich habe sie aus dem Italienischen übersetzt und lange überlegt, ob ich sie hier veröffentliche. Aber sie sind nun mal Teil meiner Geschichte. Bitte geht behutsam damit um.
BRIEF 2
München, 21. OKTOBER 2010
Caro Stefano,
ich bin jetzt eine gute Woche hier und habe noch immer nichts von Dir gehört. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie das ist. Ich weiß, Du bist verletzt, weil ich mich Deinem Willen widersetzt habe und hierher gegangen bin. Es tut mir so leid, Du weißt, das letzte, was ich möchte, ist, Dir weh zu tun.
Dabei ist alles ganz harmlos, Du darfst nicht denken, dass ich hier durch die Stadt ziehe und eine schöne Zeit habe. Es ist schrecklich. Noch immer kann ich so gut wie nicht schlafen. Ich bin so müde, so unendlich müde. Manchmal nicke ich ein, wenn ich auf der Couch sitze. Dann träume ich vom Sommer, vom Meer, vom Strand und von Dir, erinnere mich an die Tage im Juli und im August, an diesen nie enden wollenden Sommer, an die langen Tage und die warmen Nächte, die wir so oft am Strand verbracht haben. Dann schrecke ich hoch und merke wieder, wo ich gerade bin. Ich habe auch keine Lust mehr am Essen. Ich! Ich ernähre mich momentan nur von caffè und Zigaretten.
Ich habe versucht, die ersten Termine mit neuen Partnern zu vereinbaren. Der Rhythmus hier ist ganz anders als bei uns. Scheinbar ist jeder hier in Deutschland am Vormittag immer in einem Meeting. Wenn ich anrufe, sagt man mir meist, ich solle es gegen Mittag(!) noch mal versuchen, oder gleich morgens um 8.00 Uhr. Die Menschen fangen hier sehr früh an zu arbeiten und essen scheinbar Mittag gar nichts. Dafür läuft in den meisten Büros ab 17.00 Uhr nur noch der Anrufbeantworter. Ich blicke nicht wirklich durch.
Ich war auch schon bei ein paar Firmen, ich habe so gehofft, schnell jemanden zu finden, aber bisher war das alles nichts. Die meisten vertreiben Häuser nicht nur aus ein oder zwei Regionen, sondern haben wahllos Angebote aus ganz Italien, ein Haus in der Toscana, eines auf Sardinien, eine Wohnung am Gardasee. Und, wenn ich ein bisschen mit ihnen spreche, dann stellt sich heraus, dass sie meist gar nicht selbst vor Ort waren, die Häuser gar nicht selbst kennen. Dafür wird man von fast jedem gleich zum Essen eingeladen, für abends. Aber, Du weißt, dass ich so was nicht mache, ich habe natürlich immer abgelehnt.
Eine Firma war ganz gut, der Inhaber war verreist, aber ich habe sehr lange mit einer Mitarbeiterin telefoniert, sie war sehr nett und wir haben lange auch über Italien geredet, das tat richtig gut.
Vorgestern wollte ich abends etwas essen gehen, es gibt hier in der Nähe ein italienisches Lokal. Es war schon ein klein bisschen später, so knapp 22.00 Uhr. Die Gäste saßen alle bei Dessert und großen Tassen Kaffee. Man hat mir erklärt, ich sei zu spät, die Küche würde gerade schließen. Unglaublich!
Stefano, ich bin mir sicher, ich bin in Kürze wieder zurück, Du musst mir glauben, ich mache hier nur meine Arbeit, ich gehe nicht aus, ich denke an nichts anderes als an Dich. Bitte, melde Dich, bitte, ganz kurz. Es tut mir so weh und mein Herz ist so schwer. Ich weiß nicht, wie ich das hier noch aushalten soll. Oder sprich mit Papa und hol mich ab, egal was, aber so kann ich es nicht aushalten. Bitte!
Ich küsse Dich, Amore,
Deine
Chiara
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