Die Zeit sitzt mir im Nacken, denn Projekt-Ende bedeutet endlich zurück nach Hause. Aber manchmal, so wie heute, nach einem zähen, aufreibenden, aber schließlich glücklich beendeten Meeting, beginnen meine Beine auf dem Weg zurück zum Auto plötzlich in den slowmotion Modus zu wechseln. Und auf einmal werden aus den Tunnelwänden links und rechts von mir farbenfrohe Bilder, das Grundgemurmel der Stadt verändert sich, ich nehme auf einmal Wortfetzen war, erst einzelne, dann immer mehr, ganze Sätze schließlich. Gerüche werden plötzlich bewusst. Ein Gefühl, wie wenn ein Karussell langsam ausläuft, wenn aus der Farbensuppe mit einem Mal wieder Bilder werden, die Fragmente wieder einen zusammengesetzten Sinn ergeben.
Da ist das Kind mit dem Roller, dass kleine Kunststücke übt, oder die Mutter, die ungeduldig wartet, weil das ganz Kleine schon wieder an irgendetwas stehen bleibt und es staunend betrachtet. Oder der Mann, gepflegt, Cordjacke, Künstlerschal, der seine Taschen abklopft und unflätig dazu flucht. Was er wohl vergessen hat? Sein Handy, Zigaretten, eine Notiz? Ich werde es nie erfahren. Ein Business-Man, hastiger Schritt, sorgenvolles Gesicht, der Nächste, eilig, hastig an der Zigarette ziehend, wohl um noch so viel wie möglich an Nikotin zu speichern, vorm nächsten Termin. Das Pärchen, dass sich verliebt ansieht, er mit einem Laib Brot und einer Flasche Wein im Arm, sie werden heute denke ich nicht nur essen…
Da, das Literaturhaus, beeindruckend, mit dem Café im Erdgeschoss. An den Tischen bunte Mischungen, der eine da, mit Smartphone und Tablet auf dem Tisch, beides in schicken Ledermappen, am nächsten Tisch Zwei, so stelle ich mir echte Schriftsteller vor, sie diskutieren intensiv, vermutlich über ihre nächsten Bestseller.
Ich gehe in die Kirche, auch hier so viele Emotionen, die Touristen, die die nächste Sehenswürdigkeit abhaken, dann Menschen mit Sorgen, die Trost suchen, andere, die sich wohl nur kurz ausruhen wollen, die Hektik draussen gelassen. Ich warte geduldig bis ich zwischen den vielen an die Marienstatue kann, stecke einen Schein in den Schlitz und zünde zwei Kerzen an, für meine Freundinnen.
Ich laufe weiter, entdecke den nächsten Platz, die nächste Kirche, und dann verwischen die Farben langsam wieder, das Gemurmel der Stadt vermengt sich zurück zu diesem Brei aus Stimmen, Geräuschen, Motoren. Und die Beine nehmen den alten Takt wieder auf, beschleunigen mich, der Blick fokussiert sich wieder auf den Tunnel, das Ziel.
Mehr, mehr, mehr davon. Ich liebe diese Texte von dir!
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Das ist die schönste Antwort auf einen Tweet (Stadtrundgang), die ich je gelesen habe. Wundervoll und sehr gefühlvoll eingefangener Moment deines Alltags. Herrlich in Worte gefasst für uns Leser. Einfach toll,wie du schreibst. WOW.
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…..Super, da startet das Kopfkino….
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