…es nieselt leicht als ich am Meer entlang laufe und die Wellen lecken gierig an den Strand und versuchen ihm Sand abzunehmen, den sie mit ins Meer tragen – der immer gleiche Kampf. Noch sind die Dünen nicht aufgeschüttet und die Mauern nicht aufgerichtet, die den Strand den Winter über schützen werden. Aber die Bagnos sind schon verlassen und leer und die ersten haben bereits die Fenster mit Balken vernagelt. Ich starre lange zum Horizont und sehe Bilder des Sommers, die wie die Wellen vor und zurück tanzen und mir wird wieder etwas schwindlig. Ich bin allein am Strand und ohne lange zu überlegen ziehe ich meine Kleider aus und laufe ins Meer. Das Wasser ist so kalt, dass mir kurz die Luft wegbleibt, aber dann schmecke ich das vertraute Salz des Wassers auf meinen Lippen und beginne zu lächeln und schwimme mit kräftigen Zügen weiter raus. Der Wind wird immer stärker und ich merke wie langsam die Ebbe einsetzt und mich wie an einem Gummiband mit aller Kraft immer weiter nach draußen zieht – ein Zug Richtung Strand und zwei Längen sofort wieder zurück. So lege ich den Kopf aufs Wasser, mache mich ganz lang und beginne ohne abzusetzen zu kraulen, wie mein Vater es mir beigebracht hat. Immer drei Längen, Luft holen, drei Längen, Luft holen. Dann liege ich im Sand und pumpe wie ein Maikäfer und mir laufen Tränen übers Gesicht und ich schaue in den Himmel und lache und bin glücklich.
Stefano wartet in einer kleinen Bar auf mich. Er sieht fantastisch aus mit seinen schwarzen glänzenden Locken und den dunklen Augen. Er hat eine Flasche Wein auf dem Tisch, die schon fast zur Hälfte geleert ist und ein paar kleine Snacks. Ich küsse ihn auf den Mund und setze mich ihm gegenüber. Es passt ihm nicht, dass ich alleine nach Deutschland gehen werde, es passt ihm nicht, weil er sagt, es mache ihn lächerlich, wenn seine zukünftige Frau ganz alleine in ein anderes Land geht, wo sie Versuchungen ausgesetzt sein wird und sie jeder anmachen will. Noch bevor ich bestellen kann, streiten wir bereits und obwohl ich gar nicht gehen will, und obwohl ich so traurig bin, und obwohl ich eigentlich reden möchte, was ich tun kann um zu bleiben, obwohl ich ihn jetzt so dringend bräuchte und obwohl ich ihm das alles sagen möchte, lasse ich mich in die Defensive drängen und fange an mich zu verteidigen, ihm zu widersprechen, ihm zu erklären – was ich eigentlich selbst nicht glaube.
Wir zahlen und gehen aus der Bar und ich habe wieder Kopfschmerzen wie am morgen, aber wir gehen zu mir nach Hause und ich schlafe mit ihm. Er ist voller Wut und hart und brutal und auf einmal steigt in mir so ein Gefühl von Trotz und Trauer hoch, so intensiv und ich kratze seinen Rücken blutig und will ihm einfach weh tun. Plötzlich verändert sich sein Blick und er nimmt meine beiden Hände in seine Hand und zieht sie nach oben, so dass ich ausgestreckt bin als wäre ich mit den Armen am Kopfende des Bettes gefesselt und er stößt wild in mich und irgendwie macht es mich geil, aber plötzlich wird mir klar was er vorhat, dass er mich schwängern will bevor ich gehe und ich fange an mich aufzubäumen, aber er drückt sein ganzes Gewicht auf mich und ich winde mich und kann mich im letzten Moment unter ihm heraus drehen und er ergießt sich über meine Schenkel und mein Knie. Dann steht er wortlos auf, zieht seine Hose an und sein T-Shirt und verlässt das Haus und als die Türe mit lautem Krach ins Schloss fällt krümme ich mich zusammen wie ein Baby und weine lautlos in mein Kissen und rieche lange seinen Geruch im Zimmer und an mir, während ich regungslos daliege und sich alles in meinem Kopf dreht.
Ich muss eingeschlafen sein, denn mir ist plötzlich kalt und draußen zucken Blitze und die Donner lassen jedes Mal das Haus beben und ich ziehe die Decke über mich die noch feucht ist und nach Liebe riecht und ich halte sie im Arm und murmle seinen Namen – immer wieder bis ich endlich schlafen darf…
(Aus iL Tedesco – Der Deutsche)
iL Tedesco – Der Deutsche ist soeben als Buch erschienen:
-> Taschenbuch
-> ebook
sehr ergreifend geschrieben… ich kann fast das meer riechen..
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